Die Familie Willy Brandt (German Edition)
gemacht. Meiner Meinung nach handelt es sich bei diesen Meldungen (»Stern« und »Spiegel« wirken am negativsten, weil ihnen von vielen am ehesten geglaubt wird) um eine bewußte, vielleicht sogar gezielte Kampagne. Man versucht, indem man den familiären Konflikt hochspielt, den politischen herunterzuspielen, oder man verniedlicht den familiären Konflikt in einem solchen Maße, daß der politische unernst erscheinen muß (siehe »Stern«). Beide Methoden stempeln mich tatsächlich als Harlekin der APO ab und zwingen mir eine Rolle auf, die mir am wenigsten steht, die Rolle der Skandal-Nudel. [ … ] Ich kann Dir nur versichern: Glaube erst einmal nicht, was Du irgendwo über mich liest. Vielleicht bin ich Dir einige weitere Bemerkungen persönlich-privater und politischer Art schuldig: Der Zeitpunkt scheint mir gerade günstig dafür zu sein, weil augenblicklich keine Auseinandersetzungen irgendwelcher Art bestehen. Da wir uns in den nächsten Tagen wohl nicht sehen werden und ich in der Beziehung etwas schüchtern bin, tue ich es brieflich. Ich möchte, daß Du weißt, wie sehr die familiäre Auseinandersetzung mich dauert. Meiner Meinung nach könnten wir – ich meine uns alle – eine Musterfamilie abgeben. Mir wäre ein rein harmonisches Verhältnis viel lieber. Heute kann ich sagen, und ich finde, es ist ein großes Lob für Eltern, daß ich richtig – sozusagen etwas »antiautoritär« – erzogen wurde. Ich möchte Dir auch sagen, und ich finde, das ist für den Kontakt miteinander wichtig, daß ich Dich für aufrichtig und ziemlich konsequent halte. Nicht immer war ich davon überzeugt, aber heute weiß ich, daß Du nie – oder fast nie – aus purem Opportunismus handelst (die meisten Deiner Parteifreunde schätze ich übrigens anders ein). Auf der anderen Seite stehen meine politische Überzeugung und die organisatorische Bindung an die 4. Internationale, die Leitbild meines Handelns sind. Mutti wird wohl nie verstehen, wie weit die politische Bindung gehen kann; Du weißt es. Ich möchte von Herzen gerne, daß es nie zum persönlichen Bruch zwischen uns kommt. Aber wir wissen beide, daß es dazu kommen kann. Ich hoffe, in Zukunft alles zu vermeiden, was Dir schadet, ohne daß ich es von meinem Standpunkt aus als sehr wichtig – als unbedingt wichtig ansehe. Du solltest auch wissen, daß ich deswegen schon Streit hatte mit Genossen (darf guter Wille uns vor persönlichen Angriffen abhalten?) Mit den besten Wünschen Dein Sohn Peter.«
Der Brief ist ein Kraftakt, ein Balanceakt. Sich treu bleiben, aber niemandem untreu werden. Sich dem Vater verwundbar und zugleich widerständig zeigen, Konflikte bedauern und zugleich die nächsten ankündigen, dem Vater Glauben schenken und seinen Überzeugungen dennoch entgegentreten, ihn vom Vorwurf des Opportunismus befreien und ihn dennoch daran erinnern (»fast nie«), den politischen und den privaten Vater zusammen und dann doch wieder getrennt denken. Peter Brandt benutzt häufig Parenthesen, er setzt Klammern, Anführungszeichen und schließt den Brief mit einem ausufernden Postskriptum, das den Vater davon in Kenntnis setzt, wo sich der Sohn in nächster Zeit publizistisch artikulieren wird. Da schreibt einer, der es sich und der Sache nicht leichtmachen will, und diese Art des »Schwernehmens«, des differenzierenden und verzweigenden Denkens ist die emotionale und intellektuelle Währung zwischen Vater und Sohn, beide Spezialisten für nachdenkliche Umwege. Kaum hat Peter Brandt den Brief an den Vater abgeschickt, fällt ihm auf, dass seine Mutter sich über eine Bemerkung zu ihrer Persönlichkeit gekränkt fühlen könnte. Er greift umgehend noch einmal zum Kugelschreiber: »Liebe Mutti, [ … ] Gestern habe ich einen Brief an Vati geschrieben, den er Dir sicher vorlesen oder zeigen wird. Deshalb brauche ich nichts alles zu wiederholen. Auf Dich eingehend schrieb ich, Du könntest wohl niemals verstehen, wie weit die persönliche Bindung an eine politische Überzeugung und Organisation gehen kann. Das ist vielleicht nicht ganz richtig. Du verstehst mich sicher als politisch denkender Mensch, kannst aber als Mutter und Ehefrau nicht billigen, wie sich zwei Menschen auseinanderentwickeln. Auf jeden Fall möchte ich auch Dir noch einmal sagen: Ich glaube heute, meine Erziehung war – innerhalb der Gesellschaft, die ich für unmenschlich halte und ändern will – eine richtige, sozusagen »antiautoritäre«. Um Mißverständnisse zu vermeiden,
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