Die Familie Willy Brandt (German Edition)
Generation und die Zukunft der Demokratie« stand. Zwar blieb ein wirkliches Gespräch zwischen Partei und der Jugend aus, aber Brandt hielt eine bemerkenswerte Rede, weil er sich öffnete, eigene Jugenderfahrungen einbrachte, ohne allzu altväterlich zu klingen. Der Appell, den er hier an die Studenten richtete, hätte er so auch Peter zurufen können, beziehungsweise aus dieser Passage klingen die Resonanzen familiärer Diskussion: »Jemand wie ich, der in seinem Leben nicht den leichten Weg gegangen ist, kann nicht nur an die Zukunft denken, er muss auch zurückdenken an die schrecklichen Erfahrungen, die er gemacht hat. Er muss davon sprechen, nicht um euch etwas aufzuzwingen, sondern um in unsere Diskussion etwas einzubringen, was nicht zum Vergessen geeignet ist. Zu meiner Erfahrung gehört: Man kann nicht aussteigen. Ihr könnt nicht aus der Geschichte aussteigen; ihr könnt nicht aus eurer Umwelt aussteigen; ihr könnt eure Familie nicht verleugnen, nicht eure Bildung und nicht die Tradition, in der ihr aufgewachsen seid – im Guten nicht und im Bösen nicht. 1930 und 1931 habe ich als Sechzehn- bis Siebzehnjähriger gerufen, Republik, das sei nicht viel, Sozialismus sei das Ziel. Dabei war die Weimarer Republik nicht wenig, gemessen an dem, was ihr vorausging, und vor allem an dem, was ihr folgte.« Hätte Brandt völlig die Gefühlswelt seiner Söhne unbeachtet gelassen, hätte er sich nicht auf ihr Denken einstellen können, wären ihm solche Sätze nicht gelungen.
Wer ist Lars?
»Von dem, was die anderen nicht von mir wissen, lebe ich.«
Peter Handke: Am Felsfenster morgens
Wer Lars Brandt ist und warum er ist, wie er ist, darüber werde ich noch lange nachdenken.
Wie schildert man einen Menschen, der offensichtlich keinen Wert darauf legt, geschildert zu werden? Wie deutet man jemanden im Familienbild, der sich jeder Deutung entzieht? Zu entziehen scheint?
Fiel mir der Zugang zu Ninja, zu Peter und Matthias Brandt leicht? Leichter? Bei allen Annäherungen, Anrufen, Mails oder Briefen ging es darum, Vertrauen zu bilden. »Dürfte ich in Ihr Leben eintreten? Würden Sie mir bitte sagen, wer Sie sind?« Mir war klar, dass solche Fragen für jeden von ihnen Zumutungen sind.
Matthias Brandt ist als Schauspieler, der in der Öffentlichkeit steht, den Umgang mit solchen Fragen gewohnt. Er löst solche Situationen professionell. Er wirkt offen, frei, zugänglich. Gleichwohl ist er scheuer und zurückhaltender, als es scheint. Peter Brandt hingegen hat sich als Historiker auch im Hinblick auf die eigene Familiengeschichte einen nüchternen Pragmatismus, eine historische Distanz zu eigen gemacht. Geschichte wird gemacht, erzählt, gedeutet auch ohne mich. »Ich bin«, so habe ich ihn verstanden, »keine Majestät, kein Souverän meines gelebten Lebens, bitte fragen Sie mich!« Ninja, die ich das erste Mal am Rand einer Veranstaltung in Berlin ansprach und um ihre Mitarbeit bat, reagierte im ersten Moment zurückhaltend. Sie war erschöpft an diesem heißen Sommertag, sie blickte nach innen, sie war hier – im Land ihres Vaters – unterwegs in Vergangenheiten, die sich mit meiner plötzlichen Gegenwart nicht recht vertrugen. Dann jedoch, später, lud sie mich umso bereitwilliger ein, lotste mich durch Oslo, öffnete mir ihr Haus, ihre Erinnerungen.
Und Lars? Es fiel bereits schwer, seine Adresse zu bekommen. Es gab Menschen, die sie besaßen, sie mir aber nicht geben wollten, weil sie meinten, das könne ihn verstimmen. Man riet mir, an den Verlag zu schreiben. Das erschien mir zu unpersönlich. Schließlich fand ich einen Journalisten, der zumindest seine E-Mail-Adresse besaß. Ich schrieb, stellte mich kurz vor, bat um Mitwirkung. Er schrieb zwei Tage später zurück. Freundlich. Jedoch ablehnend. Zum Thema »Brandt« habe er sich in seinem Buch »Andenken« bereits vor Jahren geäußert, darüber hinaus wolle er nicht weiter zu diesem »Themenkreis« Stellung beziehen: »Für Ihre Arbeit wünsche ich Ihnen trotzdem alles Gute.« Ich nahm es sportlich. Jedenfalls tat ich so. Es musste also ohne ihn gehen.
Monate vergingen, ein halbes Jahr, ich lernte seine Geschwister besser kennen. Lars blieb eine Leerstelle. Peter bot sich an, mir seinen Bruder erzählend, erinnernd näher zu bringen, er wisse um dessen Verschlossenheit nur zu gut, aber als Bruder, der in großer Nähe zu ihm aufgewachsen sei, der ihn als Bruder »liebe«, würde er sich trauen, ein zuverlässiger Gewährsmann zu sein.
Wir schoben
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