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Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Titel: Die Familie Willy Brandt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Körner
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nicht ab. Wir verabredeten uns ein drittes Mal, wieder in Bonn. Diesmal, so machten wir aus, würde ich auch seine Frau Renate in ihrem Atelier besuchen. Sie ist Fotografin, hat sich vor allem auf Künstlerporträts spezialisiert. Ihr Atelier befindet sich in der Südstadt. Der Raum im zweiten Stock eines Altbaus blickt auf eine wenig befahrene, baumumstandene Kreuzung. Gegenüber im Café wienert ein Mann die Kaffeemaschine. Ein bürgerliches Viertel, formbewusste Lampen schielen leuchtend aus den Zimmern, Bücherwände, Antiquitäten. Schläfriges, wohlkonserviertes Schmuckstübchen Südstadt.
    Renate Brandt ist 1954 geboren und in Hannover aufgewachsen. Sie wird Buchhändlerin, zieht nach Köln und arbeitet in der Bonner Buchhandlung »König und Wolf«, die eine große Kunstabteilung unterhält. Da es damals nur wenige Galerien in der Stadt gibt, ist die Buchhandlung Anlaufstelle für kunstgesinnte Leser. Lars Brandt ist ein häufiger Kunde. Sie tun sich bald zusammen.
    »Wie haben Sie Lars Brandt damals kennengelernt? War er schon ein fertiger, ein bei sich selbst angekommener Mensch?«
    »Ein fertiger Mensch? Damit kann ich erst mal nichts anfangen. Was heißt das?«
    »Wie haben Sie ihn gesehen, als Sie sich kennenlernten?«
    »Ich würde sagen, er war sehr selbstbewusst, er wusste genau, was er wollte, aber das drückte sich nicht in seinem Auftreten aus, er hatte etwas Fragiles, etwas ganz Zartes an sich. Ich sah mich damals mit 20 als extrem schüchternen Menschen, er war einige Jahre älter.«
    Renate und Lars heiraten ohne Familie. Es ist ihre Sache. Ihr Leben. Keine Konventionen, kein Fest, nur weil es erwartet wird. Renate Brandt lernt Rut und Willy Brandt 1974 kennen. »Sein Vater, Willy Brandt, war sehr freundlich zu mir. Er ist mir mit großer Selbstverständlichkeit begegnet. Ich hatte den Eindruck eines geradezu schüchternen Mannes. Er hatte vor allem gegenüber jungen Leute überhaupt keine patriarchale Jovialität, wie man das vielleicht erwartet hätte, nichts Herablassendes.«
    »Und wie ist Rut Brandt auf Sie zugegangen?«
    »Rut hat mich sofort geduzt und mich auch mehrfach aufgefordert, sie ebenfalls zu duzen.«
    Renate Brandt beginnt 1981 beim WDR ein Volontariat als Cutterin. Durch sie schließt Lars Brandt Bekanntschaft mit dem Handwerk des Dokumentarfilms, bei einigen Projekten unterstützt und berät er sie, vor allem seine geschichtlichen Kenntnisse sind gefragt. Schließlich gibt sie 1987 ihre feste Stellung beim WDR auf, wagt die Selbständigkeit als freie Fotografin, weil sie den genormten Betrieb nicht mehr aushält, weil sie eigene Ideen verfolgt.

Renate und Lars Brandt, Anfang der neunziger Jahre
[Lars Brandt/Renate Brandt]
    Sie zeigt mir eine Reihe von Porträts, die in den letzten Jahren entstanden sind, Schriftsteller zumeist, Enzensberger, Herta Müller, Thomas Hettche, Wolfgang Hilbig. Ihr Auge fordert im Gegenüber nicht den Pfau heraus. Offen gestanden mag ich keine Schriftstellerporträts. Wie sie den Finger an die Wange legen, wie sie weltwund am Schreibtisch sitzen, wie sie wilder Mann spielen oder wilde Frau, kommt mir meistens übertrieben vor. Aber das hier sind ziemlich lakonische Fotos, die Stimmung ist ernst, nicht bleiern, sie wirken, als hätten die Verstellungskünste gerade eine Zigarettenpause eingelegt. In »Andenken« finden sich zwei Automatenpassbilder von Willy Brandt. Renate Brandt hatte ihren Schwiegervater gebeten, sich an einem Projekt zu beteiligen, für das sie die Mitwirkenden bat, sich vom Automaten fotografieren zu lassen. Nein, sagt sie, insgesamt sei ihre Idee nicht aufgegangen, aber die Bilder von Willy Brandt zeigen doch etwas Besonderes. Hier ist ein Mensch zu besichtigen, dessen Gesicht immer mit Bedeutung aufgeladen, dessen Physiognomie stets als große Erzählung inszeniert worden war und das hier, hier auf dem Hocker, hier vor dem leblosen Auge, hier in diesem kleinen, schmuddeligen Kasten mit Vorhang wieder zu sich selbst zurückkehrt und über die unverstellte Sicht auf das eigene Ich staunt. Ach, das bin auch noch ich? Da bin ich wieder? Ich habe Willy Brandt kaum jemals offener ins Gesicht schauen können als auf diesen Automatenfotos, die frei sind von jeder Symbolik.

    Lars holt mich vom Atelier ab. Wir wollen durch Bonn spazieren, ich will ihn auf seinen alltäglichen Wegen begleiten, um ihm näher zu kommen. Das ist die Idee. Es regnet. Das ist keine Idee. Zwei Männer unter einem Schirm. Leichte Komik. Jeder will dem anderen

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