Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Titel: Die Familie Willy Brandt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Körner
Vom Netzwerk:
gerade wegen seiner Aura innerer Obdachlosigkeit anrührte, die ihn jedoch im eigenen Haus – in der SPD-Baracke – zunehmend isoliert.
    Doch auch seine Partei, seine SPD, die alte Tante SPD, die sich ja nun schließlich auch so etwas wie eine weibliche Seele zuschrieb und zugutehielt, inszenierte den Kanzlerkandidaten Brandt im Bundestagswahlkampf 1965 unverhohlen als Frauenhelden, der weiß, was Frauen wollen, begehren und ersehnen. Auf Wahlkampfveranstaltungen wurde eine Single verteilt, die mit erotischen Appellen auf Stimmenfang ging. Klaus-Günther Naumann hatte die zwei Titel komponiert, dargeboten wurden sie im seichten Schlager-Arrangement von Werner Hass und den »Monacos«. Auf der A-Seite hieß es »Alle drücken ihm den Daumen« und die B-Seite wartete mit dem schönen Appell »Einmal muss man es probieren« auf, ein Titel übrigens, der die Behauptung der A-Seite konterkarierte, denn wenn ohnehin alle dem Kandidaten Brandt die Daumen drücken, muss man kaum jemandem Mut zusprechen (»Einmal muss man es probieren«), das politische Lager zu wechseln und den roten Mann zu wählen. Tatsächlich verbarg sich dahinter die Einsicht der Wahlforscher, dass Brandt bei der Bundestagswahl 1961 bei den Frauen zwar überdurchschnittlich viel Sympathien errungen hatte, still bewundert und vielleicht auch angehimmelt wurde, sich diese »klandestinen Gefühle« aber nicht gegen traditionelle Bindungen, rationale Erwägungen und patriarchal gestimmt-gesteuertes Abstimmungsverhalten in der eigenen Ehe oder im angestammten Milieu durchsetzen konnten. Vor diesem Hintergrundwissen versuchte der Schlager, Gefühl und Verstand zu versöhnen (»schöne Mädchen« gleich »kluge Mädchen«). Treue heißt das Zauberwort, das auf der A-Seite zwar nicht ausgesprochen wird, das aber gemeint ist (»nicht mit jedem Mann«).
Schöne Mädchen gehen nicht mit jedem Mann
Nur mit einem, den man wirklich liebt
Nur mit dem, der etwas tun und nicht nur reden kann
Und der weiß, was Mädchen sich wünschen
Er sichert sich den Platz
In den Herzen – für ihn gibt’s keinen Ersatz

Kluge Mädchen wählen doch nicht jeden Mann
Nur den Mann aus der Berliner Luft
Nur der Mann, der zeigt, dass er noch mehr als reden kann
Wenn Sie Ihre Stimme ihm schenken
Kommt auf den ersten Platz
Unser Willy! – für ihn gibt’s keinen Ersatz.
    Auch das Kumpel- und Bindungsmotiv »Unser Willy« wird wieder bemüht und suggeriert volkstümlich-familiäre Nähe, Berührbarkeit, Intimität, schrankenlose Zugänglichkeit und rasche Erreichbarkeit.
    Dahingegen ermuntert die B-Seite zum veritablen »Ehebruch«, Wechselstimmung soll erzeugt werden, ohne dass es den Umworbenen eigentlich auffällt. Der »erste Kuss« wird parallelisiert mit dem ersten Mal, »Rot« zu wählen. Wer jetzt nicht küsst, wer jetzt nicht »Willy« wählt, versäumt den Frühling, sich selbst und ebenso den historischen Augenblick, die einzigartige Chance.
Jedes Mädchen, das muss wissen
Es blüht einmal nur der Mai
Was man da versäumt an Küssen
Ist für alle Zeit vorbei.

[…]

Wie mit Liebe und mit Küssen
Ist’s auch mit der Politik
Vor der Wahl muss jeder wissen
Wem er diesmal gönnt das Glück
Und da alles Alte
Heute abgetakelt und passé
Drum probieren kluge Leute
Dieses Mal die SPD
    Der Sex-Appeal Brandts wird also lange vor der Guillaume-Affäre vom eigenen Lager genutzt, um bislang unzugängliche Wählerschichten zu erschließen. Dieses politisch-erotische Buhlen war selbst vielen Genossen verdächtig, anrüchig, unseriös, ein Image zudem, das schwer zu kalkulieren war und dem politischen Gegner überdies jede Menge Munition lieferte.

    Die Beziehungsgeschichte von Brandt und Ihlefeld ist auch ein Stück deutscher Medien- und Pressegeschichte, nicht nur weil sie sich in diesem Kontext kennenlernen, sondern auch weil sich die Massenmedien nach 1945 verändert haben, weil sie den »weiblichen Blick« aufnehmen, weil Frauen zunehmend in den Journalismus drängen und damit andere »Männerbilder« gefragt sind und geliefert werden. Daniela Münkel hat in ihrem Buch »Willy Brandt und die vierte Gewalt« herausgearbeitet, wie Brandt zum »ersten modernen Medienkanzler in der Geschichte der Bundesrepublik« wurde, wie sehr er und seine Politik von der Transformation der Medien profitierten. Die Umwandlung der Medien- und Bilderlandschaft formiert Idole, formt den Blick auf die Protagonisten und regiert untergründig auch die Liebesgeschichte von Brandt und Ihlefeld, denn lange

Weitere Kostenlose Bücher