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Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Die Familie Willy Brandt (German Edition)

Titel: Die Familie Willy Brandt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Körner
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berichten sie nicht selten von den Frauen an der Seite des berühmten Mannes, wodurch der Mann, der Politiker, noch ein weiteres, ein anderes Gesicht erhält. Diesem human interest journalism geht es vornehmlich nicht um politische Enthüllung und Analyse, sondern um menschliche Einfühlung, um detaillierte Schilderungen privater Lebensumstände (Wohnung, Kleidung, Ernährungsgewohnheiten, Freunde, Erziehungsfragen, Hobbys) und um atmosphärische Studien, die den Charakter des Porträtierten zum Vorschein bringen sollen. Auch politische Magazine wie der »Spiegel« oder Illustrierte wie der »Stern« setzen verstärkt auf solche Themen und Perspektiven, und für große Frauenzeitschriften wie »Constanze« liefert Heli Ihlefeld mehrere umfangreiche Reportagen über Rut und Willy Brandt, werden politische Themen durch den privat-familiären Zuschnitt erst attraktiv.
    Es sind vor allem Frauen, die einen anderen Blick etablieren, Journalistinnen wie Eva Windmöller (»Stern«), Wibke Bruhns (»Stern«), Ingrid Gallmeister (»Bild«) oder Hilde Purwin (»Neue Ruhr-Zeitung«), Marion Schreiber (»Spiegel«) oder Ada Brandes (»Stuttgarter Zeitung«). Die Dominanz der Männer im Journalismus wird dadurch keineswegs in Frage gestellt, und jede der Schreiberinnen pflegt ihren eigenen Stil, aber der »kriegerische« Eroberungs- und Rivalitätsblick männlicher Journalisten konkurriert nun mit Sichtweisen, die mitunter nur auf den ersten Blick »weicher«, »gefälliger« und »oberflächlicher« scheinen. Profilierten Journalistinnen wie Ihlefeld, Windmöller oder Bruhns gelingen schmerzhaft nahe Porträts, die den Porträtierten mitunter stärker zusetzen als der routinierte Rabauken-Stil männlicher Kollegen.

    Das Jahr 1969 führt Heli Ihlefeld und Willy Brandt nun häufiger zusammen. Sie verfasst mehrere Reportagen über Rut Brandt, die beim Verleger, den Lesern und den Brandts Anklang finden, sie begleitet Brandt und seine Frau als journalistische Beobachterin auf einigen Auslandsreisen, und sie schreibt im Mai eine Reportage, die für einiges Aufsehen, aber auch Ärger sorgt. Anlass ist Brandts Reise als Außenminister nach Nordamerika. Heli Ihlefeld, die ihn begleitet, schreibt unter der Überschrift »Der Kavalier der neuen Schule« ein sehr zugetanes Reisetagebuch, das am 5. Mai 1969 in der »Constanze« erscheint. Das Porträt zeigte Brandt als offenen, gesprächsbereiten Menschen, der hart arbeitet, aber privat auch locker sein kann, der im Ausland eine hohe Reputation genießt und der Frauen gegenüber weiß, was sich gehört und daher von ihnen verehrt, ja wie ein Star angehimmelt wird. Doch die begleitende Bildstrecke, die den Gestus des Textes unterstreicht, hat man so noch nicht gesehen (und sah man später auch nicht mehr), denn die Reporterin schien dem Außenminister bei den intimsten Verrichtungen über die Schulter zu schauen, wobei sie selbst zu einer Art intimen Freundin wird: Sie sitzt lachend neben dem ebenfalls lachenden Brandt in dessen Suite auf dem Sofa, und die Bilder suggerieren Nähe, Nähe, Nähe, nehmen vorweg, was erst im Herbst des Jahres beginnt: ein Liebesverhältnis. Dazu passt, dass der Leser ausgerechnet Brandt, den legendären Morgenmuffel, bei der Morgenwäsche und Rasur betrachten kann, in Unterhemd vor dem Badezimmerspiegel, viel nackte Haut ist zu sehen. Die Fotos entkleiden den Politiker von seinem Amt und machen einen ganz gewöhnlichen Mann, Menschen aus ihm, einer, der wie alle anderen auch denselben Alltagsprozeduren unterworfen ist. Aufstehen, in den Spiegel blicken, Faltenstudium, Müdigkeit bekämpfen, sich pflegen, angreifbar sein, ein nahbarer Körper im grellen Blitzlicht des Fotografen, im Licht der Öffentlichkeit. Die diplomatische Mission rückt in den Hintergrund.
    Im Außenministerium war man über diese Fokussierung auf das Außerdienstliche, das Legere nicht amüsiert. Man ließ die Journalistin wissen, dass der Minister sehr verärgert sei über den Stil des Porträts, der als Bloßstellung und Beschädigung des Amtes empfunden worden sei. Daraufhin schreibt Ihlefeld am 9. Mai 1969 einen Brief, in dem sie sich für die Darstellungsweise der Reportage rechtfertigt: »Lieber Willy Brandt, zu meinem großen Kummer habe ich vernommen, daß Ihnen mein Bericht in der ›Constanze‹ mißfallen hat. Ich schreibe Ihnen nicht, um mich dafür zu entschuldigen oder gar um alle ›Schuld‹ auf meine Redaktion abzuwälzen. Denn bevor ich nicht durch schlagende Argumente

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