Die Familie Willy Brandt (German Edition)
bevor sie sich erstmals in der »Rheinlust« begegnen, ist das Mädchen, die junge Frau dem Medienidol Brandt schon nahegekommen. Durch die Übertragung der Bundestagsdebatten wurden Redner wie Carlo Schmid, Thomas Dehler, Konrad Adenauer und Kurt Schuhmacher zu »Stars«. Zu diesen Helden in Schwarzweiß gehörte im Hause Ihlefeld auch Willy Brandt. In ihrer 2008 erschienenen Autobiographie »Auf Augenhöhe« schreibt sie über diese erste TV-Begegnung: »Und Willy Brandt natürlich. Damals Regierender Bürgermeister von Berlin. Ich schwärmte für ihn. Wie alle Teenager hatte ich meine Idole. Außer Brandt gehörten die amerikanischen Filmstars Errol Flynn und Sabu zu ihnen. Sabu war ein indischer Junge. Er war auf einem Panther in dem Film Dschungelbuch nach Rudyard Kipling in meine Träume geritten.« Es ist aufschlussreich, dass Brandt hier in einer Reihe mit dem romantischen Frauenhelden und Abenteurer Errol Flynn steht, denn tatsächlich beginnt das Starprinzip Hollywoods auch die bundesdeutsche Medienlandschaft zu beherrschen. Mit der Gründung des Zweiten Deutschen Fernsehens (1963) beschleunigt sich ein Prozess, der in den Printmedien schon Einzug gehalten hatte. Es sind nicht mehr nur Filmstars, die als Stars wahrgenommen werden, sondern alle Berufsgruppen geraten ins Visier der öffentlichen Beobachtung, sofern sie Promi-Potential besitzen und sich spannende Geschichten mit ihnen erzählen lassen. Jetzt können nicht nur Dschungelhelden, sondern auch Politiker auf Panthern in die Träume ihres Publikums reiten.
Willy Brandt und Heli Ihlefeld, 1973 in Norwegen
[Heli Ihlefeld]
Plötzlich werden Fußballer oder Eiskunstläufer zu Stars, auch Wirtschaftsführer oder Ärzte, sofern sie nur Glamour, ein besonderes Schicksal oder eine erstaunliche Leistung vorzuweisen haben. Der human interest journalism hält – aus Amerika kommend – in allen medialen Bereichen Einzug, das Fernsehen meldet immer schneller Bildbedarf an, und auch die Frauenmagazine, Illustrierte und Boulevardzeitungen hungern nach intimen Einblicken, nach dem Menschen hinter den großen Bildern, nach Authentizität. Dieser Prozess, diese Starmodellierung ist von Anfang an verschlungen-widersprüchlich, denn es sind vielfach erst die Medienbilder, die die Menschen groß, übergroß und überlebensgroß machen, und zugleich fordern die Medien von ihren Bildgeschöpfen, dass sie möglichst normal, zugänglich und menschlich sind und bleiben. Folgerichtig gehören Sturz, Absturz und der tiefe Fall zu dieser Medienlogik (what goes up must come down). Auch Willy Brandt wird mit dieser widersprüchlichen Zerr- und Ziehhaltung, mit diesem widerstreitenden Darstellungsprinzip (Star vs. Mensch; einer von uns vs. keiner von uns; Glanz vs. Elend; Aufstieg vs. Fall; real vs. irreal) seine Erfahrungen machen und daran leiden. Es ist dieser mediale Transformationsprozess, der Heli Ihlefeld nach Bonn führt, aus ihr eine erfolgreiche Journalistin macht und sie schließlich auch an Willy Brandt bindet, in mehr als nur einer Beziehung.
Sie wird 1935 in Hannover in eine bürgerliche Familie geboren. Das junge Mädchen ist vom Theater fasziniert und will am liebsten Schauspielerin werden, doch ihr Vater Kurt Ihlefeld hat andere Pläne für seine Tochter. Er ist Gründer und Eigentümer einer Nachrichtenagentur, die vom Bundespresseamt und vom Verteidigungsministerium gesponsert wird. Der Neue Landesdienst (nld) ist auf aktuelle politische Berichterstattung spezialisiert und unterhält eine Redaktion in Bonn. Nachdem Heli Ihlefeld ein Volontariat bei der »Kölnischen Rundschau« absolviert und ein Studium begonnen hat, zieht sie 1959 in die Bundeshauptstadt. Nach der Auflösung der väterlichen Nachrichtenagentur vermittelt ihr Freund Hermann Otto Bolesch, den sie 1966 heiratet, einen Kontakt zur Münchner »Abendzeitung«, die in jenen Jahren unter Werner Friedmann als liberale Boulevardzeitung große Erfolge feiert und bundesweit wahrgenommen wird. Heli Ihlefeld profitiert anfänglich sicherlich von dem weitgespannten Beziehungsnetz, das ihr beliebter und bekannter Mann in Bonn aufgebaut hat, sie findet Zugang zu Spitzenpolitikern wie Adenauer, Kiesinger oder Erhard, doch schon bald steht sie ganz und gar auf eigenen Füßen, denn sie kultiviert den weiblichen Blick. Ihre Reportagen passen genau ins Bild der Zeit, denn sie übersetzen die große Politik ins »Menschliche«, sie zeigen den Politiker als Mann, Vater, Ehemann und Privatmenschen. Außerdem
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