Die Familie Willy Brandt (German Edition)
die Beziehung zwischen Brandt und Ihlefeld, eine Beziehung, die von 1969 bis 1974 dauern wird, aber Brandt hat an diesem Abend ein Zeichen geschickt, eines, das neben die Worte fiel, aber doch sprechen konnte. War es nicht einfach nur unverschämt?
»Hast du dich nicht geärgert? Dir das verbeten?« Nein, das sei kein grobes Anklopfen, kein Beschmutzen und Beflecken gewesen, und unbewusst und zufällig sei das auch nicht gewesen, er habe vielmehr mit voller Absicht gehandelt. Das sei an diesem Abend, an diesem Ort und ihr gegenüber seine Art der Kommunikation gewesen. Hier bin ich! Zu Brandt, der privat nicht selten neckisch war, durchaus auch albern, mit eigenwilligem Humor begabt, passt dieses unaggressive, tastend-schwebende Anaschen. Viele, viele Jahre später – die »Rheinlust« existiert nicht mehr, Hermann Otto Bolesch ist tot, Rut und Willy Brandt sind geschiedene Leute, er ist kein aufstrebender Star mehr, kein Außenminister, kein Bundeskanzler –, da begegnen sich Brandt und Heli Ihlefeld-Bolesch noch einmal, zufällig. Die Frau an Brandts Seite heißt jetzt Brigitte Seebacher, und das Paar, das gerade ein Jahr zusammen ist, besucht 1980 eine Veranstaltung in Bonn, bei der auch Heli Ihlefeld zu Gast ist. Sie hatten sich seit seinem Rücktritt 1974 nur einmal zum Essen getroffen, bei dem Brandt sagte, er hätte zu ihrer Beziehung stehen und nicht zurücktreten sollen. Jetzt plaudern sie kurz, eine flüchtige Begegnung nur, doch offenbar löst sie Brandt die Zunge. Als er wieder zu Hause ist, sagt er über Heli: »Sie ist die Frau, die ich lange Jahre sehr gern gehabt habe.«
Als Brigitte Seebacher nach dem Tode ihres Mannes seine Biographie schreibt, wendet sie sich 2003 an Heli Ihlefeld mit der Bitte, diese Liebesbeziehung in ihrem Buch erstmals bekanntmachen zu dürfen. Heli Ihlefeld überlegt lange, sie selbst ist mit ihrer Geschichte nie an die Öffentlichkeit gegangen. Sie berät sich mit ihren Kindern und trifft sich daraufhin mit der Autorin zu einem Gespräch. Schließlich willigt sie ein, weil sie das Motiv der Biographin teilt: Sie möchte das Bild von Brandt als hemmungslosem Frauenverführer und Schürzenjäger korrigieren, weil sie ihn anders kennengelernt hat und weil es Brandts tatsächliches Verhältnis zu Frauen, das eher zurückgenommen, kompliziert und scheu war, entstellt. Tatsächlich war das Image Brandts als Mann der Frauen, als Frauen-Versteher und Frauen-Liebling über einen langen Zeitraum aufgebaut und von Freund und Feind politisch instrumentalisiert worden. Mal wurde er als skrupelloser Casanova denunziert, mal als feinfühliger Frauenherzenskundiger gepriesen. Im Wahlkampf 1961 nutzen die »Hauptdreckschleudern« (Peter Merseburger) Hans Frederick und Dr. Hans Kapfinger, zwei bigotte und schmierselige Kommunistenjäger und journalistische Parteigänger von Franz-Josef Strauß, die Liebesbriefe, die Brandt 1951 an Susanne Sievers schrieb, um ihn zum Helden eines denunziatorischen Groschenromans zu machen, in dem ihm die Rolle des treulosen Verführers zugewiesen wird, ein Mann, der Frauen erotisch und sozial auspresst, bis sie – verbraucht und verletzt – für die nächste Gebrauchsgefährtin zurückgelassen werden.
Einen spielerisch-heiteren, satirisch-kritischen Umgang mit Brandts Womanizer-Image pflegte Hans-Werner Graf Finck von Finckenstein 1967 in dem Almanach zum Bundespresseball, einem jährlich erscheinenden Büchlein, in dem die Bonner Politprominenz kräftig durch den Kakao gezogen wurde. Von Finckenstein, der wirklich so hieß, einem uralten Adelsgeschlecht entstammte (der Romancier Günter de Bruyn war so fasziniert von der illustren weitläufigen Familie, dass er ein Buch über sie schrieb) und ein glänzender Journalist war, benutzte den 1964 erschienenen Roman von Max Frisch »Mein Name sei Gantenbein« als Vorlage, um den Außenminister Brandt als luftige Romanfigur zu charakterisieren, ein Mann, der die zusammengestückelte Identität eines Flickenteppichs besitzt: »Ich stelle mir vor: Gantenbein ist Willy Brandt. Er steht in seinem Zimmer, Vorstandszimmer, am Schreibtisch, an dem Erich Ollenhauer saß. Groß steht er da, breitbeinig, mit rauchiger Stimme, Sex in moll, Liebling der Frauen. Immer noch Liebling? Groß, breitbeinig, rauchig. Nichts gewonnen und schon verloren. Wozu? Warum sagt ihm keiner die Wahrheit? Wer glaubt noch an ihn? Ein fremder Mensch im eigenen Hause.« Von Finckenstein spielt mit dem Motiv des Fremdlings, der Frauen
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