Die Familie Willy Brandt (German Edition)
begehrten, die auf ihn zugingen.« Margarethe Mitscherlich klang so lebendig und vergnügt, dass es mich überraschte, bald darauf von ihrem Tod zu hören.
Brandts Verhältnis zu Frauen war kompliziert, er suchte sie, ließ sich aber lieber finden. Er hatte ein ausgesprochenes Nähebedürfnis, war aber eher zurückhaltend in der Herstellung von Nähe, er begehrte, beäugte dieses Begehren aber auch misstrauisch und lieferte sich ihm selten aus. Eine Episode mag kennzeichnend sein. In Journalistenkreisen sagte man Ingrid Gallmeister von der »Bild-Zeitung« eine Affäre mit ihm nach, aber wie sich ihre Begegnung tatsächlich abspielte, erzählte sie später einer Freundin.
Als Brandt im August 1970 nach Moskau gereist war, um den Moskauer Vertrag zu unterzeichnen, trafen sich der Kanzler und die Journalistin spätabends im Hotel. Der Kanzler bat sie zu sich auf sein Zimmer, er brauche ein wenig Gesellschaft. Ein Kellner brachte etwas zu essen, im Fernsehen lief ein Fußballspiel. Sie tranken Rotwein, rauchten, redeten, Stunden vergingen. Dann brachte Brandt sie zur Tür, bat sie aber, bevor er die Tür öffnete, einen Augenblick zu warten. Er ging ins Badezimmer, ließ Wasser in die Wanne laufen, kam zurück und entließ die Journalistin mit einem Wangenkuss. Vor der Tür stand ein Leibwächter und registrierte das Bild. Ging es Brandt auch darum? Ein Bild von sich in die Welt zu setzen, das weniger kompliziert, sondern handfest und letztlich banal war? Wollte er ein Klischee nähren, um sich dahinter zu verbergen? Wie auch immer – Brandt suchte Nestwärme, ohne so recht zu wissen, wie man Nester baut.
Ich habe die Erinnerung an das Gespräch mit Margarete Mitscherlich hier gesucht, in diesem Kapitel, an dieser Stelle, um Brandts besonderes Verhältnis zu Heli Ihlefeld zu unterstreichen. Ihre Beziehung hat Dauer, Vertrautheit und Tiefe, gleichwohl ist sie brüchig, sie kennt keinen Alltag, sie findet selten zur intimen Begegnung, und wenn sie einander treffen, ist das Rendezvous eingezwängt in einen engmaschigen Terminkalender, läuft unter der Rubrik »Interview«, die Leibwächter sind nie weit, und der Abschied steht immer vor der Tür und hält Wache. Brandt hat sich gegenüber seiner späteren Frau Brigitte Seebacher zu dieser Beziehung bekannt, auch in seinen späten Erinnerungen erwähnt er, ein letzter Gruß, Heli Ihlefeld als »liebe Freundin«, freilich ohne ihren Namen zu nennen. Rut mag etwas geahnt haben, doch gewusst hat sie nichts, vielleicht auch weil viele der Geschichten, die man ihrem Mann nachsagte, zu offenkundig erfunden waren. Gerüchte gab es viele, Gewissheiten kaum.
Sowohl in ihrer Autobiographie als auch in unseren Gesprächen berichtete Heli Ihlefeld betont diskret von ihrer besonderen Verbindung zu Brandt. Dass Kollegen ihr vorwerfen, sie habe die Öffentlichkeit gesucht, kränkt sie, denn es war erst die Biographie von Brigitte Seebacher, die die Beziehung bekanntgemacht hat, nicht ihr eigener Impuls. Gleichwohl ist sie anhaltend erleichtert und froh, dass sie sich zu diesem Schritt entschlossen hat, denn erst jetzt konnte sie beginnen, das so lange unterdrückte Verhältnis für sich zu rekonstruieren, ihm nachzuspüren und offen in ihre Biographie einzubringen. Auch in unseren Begegnungen gibt ihre Erinnerung erst nach und nach bestimmte Szenen frei oder preis, weil sie verdrängt, fast vergessen waren, verloren schienen oder erst durch bestimmte Fragen wiedergefunden wurden.
Eine Begegnung, die solch verschüttete Momente freisetzt, findet in Bonn im Archiv der sozialen Demokratie statt. Hier liegt, wohlverwahrt und gut katalogisiert, ein Leben in grauen Boxen und Mappen, der Nachlass von Willy Brandt, und hier liegt – ebenso behütet – ein Depositum, das Heli Ihlefeld dem Archiv übergegeben hat. Mit einem Depositum werden Unterlagen bezeichnet, die jemand einem Archiv schon zu Lebzeiten zur Verwahrung übergibt. In diesem Depositum finden sich einige Briefe Brandts, viele Presseausschnitte, verschiedene Manuskripte, Fotos, die die Journalistin und den Kanzler zeigen: beim gemeinsamen Tanz, in angeregter Unterhaltung auf einem Empfang, beim Spaziergang in Norwegen, auf dem Venusberg in Brandts Dienstvilla oder in Ruts Hütte in Hamar im Kreis der Familie.
Wir beugen uns gemeinsam über die Dokumente. Ein Manuskript von Willy Brandt fällt mir auf. Es sind, in kleiner, säuberlicher Handschrift, gut ein Dutzend Seiten, eng beschrieben, auf denen er für die
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