Die Farbe der Gier
würde. Dann zog sie alle Oberbekleidungsstücke aus und probierte die Uniform an – sie passte nicht perfekt, aber glücklicherweise war das Unternehmen, für das zu arbeiten sie vorgeben wollte, nicht für seine schneidertechnische Eleganz bekannt. Als Nächstes ersetzte sie ihre Turnschuhe durch die neu gekauften, hochhackigen Pumps, dann stopfte sie ihre alten Kleider in die Tüte.
Als sie schließlich die Damentoilette verließ, suchte sie ihren neuen Arbeitgeber auf. Ihr Gang war noch ein wenig unsicher, denn sie war nicht an hohe Absätze gewöhnt. Der Blick der Krantz fiel auf eine Frau, die eine identische Uniform trug. Sie 405
ging zu deren Schalter und fragte: »Gibt es auf einem der Flüge nach London noch einen freien Platz?«
»Das sollte kein Problem sein«, erwiderte die Frau. »Kann ich Ihren Pass sehen?« Die Krantz reichte ihr das neu erworbene Ausweisdokument. Die Vertreterin des Unternehmens inspizierte die Angaben zu Sascha Prestakawitsch in der Datenbank der Firma.
Laut den Unterlagen legte sie derzeit einen dreitägigen Zwischenstopp ein. »Scheint in Ordnung zu sein«, meinte sie schließlich und reichte der Krantz einen Crew-Pass. »Achten Sie nur darauf, dass Sie als eine der Letzten einchecken, falls wir einen Zuspätkommenden haben.«
Olga Krantz ging zum internationalen Terminal und sobald sie den Zoll durchlaufen hatte, lungerte sie im Duty-Free-Bereich herum, bis sie den letzten Aufruf für Flug 413 nach London hörte. Als sie an den Flugsteig kam, checkten gerade die letzten drei Passagiere ein. Wieder wurde ihr Pass mit der Datenbank der Firma abgeglichen. Der Beamte am Gate inspizierte seinen Bildschirm.
»Wir haben in jeder Klasse noch Sitze frei, Sie können es sich also aussuchen.«
»Die hinterste Reihe in der Touristenklasse«, sagte die Krantz ohne zu zögern.
Der Mann am Gate wirkte überrascht, druckte aber die Bordkarte aus und reichte sie ihr dann. Die Krantz ging durch das Gate und bestieg die Aeroflot-Maschine, Flug 413, nach London.
406
53
ANNA SCHRITT LANGSAM die breite Marmortreppe hinunter.
Nach jeder zweiten oder dritten Stufe blieb sie stehen, um ein weiteres Meisterwerk zu bewundern. Ganz egal, wie oft sie die Gemälde sah … da hörte sie plötzlich ein Geräusch hinter sich und schaute zurück in den Gästetrakt. Andrews war aus ihrem Schlafzimmer getreten. Er trug ein Bild unter dem Arm. Sie lächelte, während er in Richtung der hinteren Treppe entschwand.
Anna richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Gemälde und setzte ihren langsamen Abstieg die Treppe hinunter fort. Als sie in der Eingangshalle angelangt war, warf sie Lady Catherine Wentworth einen weiteren bewundernden Blick zu, dann schritt sie langsam über den schwarz-weißen Marmorfliesenboden zum Salon.
Das Erste, was Anna beim Eintreten sah, war Andrews, der den van Gogh auf eine Staffelei mitten im Raum stellte.
»Wie finden Sie es?«, fragte Arabella und trat einen Schritt zurück, um das auf diese Weise präsentierte Selbstbildnis zu bewundern.
»Denken Sie nicht auch, es könnte für Mr. Nakamura ein wenig zu …« Anna wollte ihre Gastgeberin nicht beleidigen.
»Zu plump, zu aufdringlich, zu offensichtlich sein? Welche Formulierung suchen Sie, meine Liebe?«, fragte Arabella und drehte sich zu Anna um. Anna musste lachen. »Seien wir ehrlich«, fuhr Arabella fort, »ich habe keinen Cent mehr und die Zeit läuft mir davon, darum bleibt mir keine große Wahl.«
»Das würde man nicht glauben, wenn man Sie so sieht.« Anna bewunderte das herrliche, knöchellange Kleid aus rosa Seidentaft, das Lady Arabella trug, sowie ihr Diamanthalsband.
407
Anna fühlte sich daneben in ihrem kurzen, schwarzen Armani-Kleid ziemlich salopp.
»Wie nett, das zu sagen, meine Liebe, aber wenn ich Ihr Aussehen und Ihre Figur hätte, würde ich mich nicht von Kopf bis Fuß mit Ablenkungen bedecken müssen.«
Anna lächelte. Sie bewunderte die Art und Weise, wie Arabella ihr so rasch die Befangenheit zu nehmen vermochte.
»Wie alle großen Sammler wird er binnen Sekunden einen Entschluss fassen«, sagte Anna. »Vor kurzem hat eine wissenschaftliche Studie gezeigt, dass Männer in acht Sekunden entscheiden, ob sie mit einer Frau schlafen wollen oder nicht.«
»Doch so lange?«, spottete Arabella.
»Mr. Nakamura wird ungefähr ebenso lange brauchen, um zu entscheiden, ob er dieses Gemälde besitzen will.« Anna sah den van Gogh direkt an.
»Darauf wollen wir anstoßen«, sagte
Weitere Kostenlose Bücher