Die Farbe der Gier
erkundigte sich Anna besorgt.
»Fenstons Anwalt hat heute Morgen persönlich ein Schreiben überbracht, um mich daran zu erinnern, dass ich bis morgen Mittag den Kredit in voller Höhe zu tilgen habe. Andernfalls muss ich mich darauf einstellen, dass sämtliche
Familienmitglieder ausrangiert werden.«
»Er plant, die gesamte Sammlung zu veräußern?«, fragte Anna.
»Das scheint seine Absicht zu sein«, bestätigte Arabella.
»Aber das ergibt doch keinen Sinn«, meinte Anna. »Wenn Fenston die gesamte Sammlung zur selben Zeit auf den Markt wirft, dann tilgt das nicht einmal den ursprünglichen Kredit.«
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»Würde es auch nicht, würde er nicht gleichzeitig das Anwesen verkaufen«, sagte Arabella.
»Das würde er doch niemals …«, fing Anna an.
»Er würde«, unterbrach Arabella. »Wir können nur hoffen, dass sich Mr. Nakamura Hals über Kopf in den van Gogh verliebt, denn offen gestanden ist er meine letzte Hoffnung.«
»Wo ist das Meisterwerk?«, fragte Anna, während Arabella sie in den Salon führte.
»Wieder im Gästezimmer, wo es die letzten 100 Jahre verbracht hat.« Arabella hielt inne. »Mit Ausnahme eines Tagesausflugs nach Heathrow.«
Arabella machte es sich in ihrem Lieblingssessel neben dem Kamin gemütlich, je ein Hund an jeder Seite. Anna tigerte durch den Raum. Sie sprach die italienische Sammlung an, die der vierte Earl zusammengetragen hatte.
»Sollten meine geliebten Italiener ebenfalls zu einer unerwarteten Reise nach New York gezwungen werden, dann dürfen sie nicht jammern«, meinte Arabella. »Schließlich scheint das eine alte amerikanische Tradition zu sein.«
Anna lachte, ging von Tizian zu Veronese und Caravaggio.
»Ich hatte ganz vergessen, wie großartig der Caravaggio ist«, sagte sie und trat einen Schritt zurück, um Die Hochzeit von Kanaa zu bewundern.
»Ich glaube, Sie interessieren sich mehr für tote Italiener als für lebende Iren«, lachte Arabella.
»Wenn Caravaggio heute noch leben würde«, erwiderte Anna,
»dann würde Jack ihm nachstellen und nicht mir.«
»Wie meinen Sie das?«, fragte Arabella.
»Caravaggio hat im Vollrausch einen Mann ermordet. Hat die letzten Lebensjahre auf der Flucht verbracht, aber wann immer er in eine neue Stadt kam, stellten sich die Einheimischen blind, 397
solange er nur weiterhin herrliche Porträts der Jungfrau Maria mit ihrem Kind malte.«
»Anna, Sie sind ein unmöglicher Gast. Setzen Sie sich«, sagte Arabella. Der Butler betrat den Salon und verkündete: »Mylady, es sind drei Herren an der Tür, die ein Paket für Sie abzugeben wünschen. Ich habe sie aufgefordert, sich zum
Dienstboteneingang zu begeben, aber sie meinten, ohne Ihre Unterschrift dürften Sie das Paket nicht aushändigen.«
»Eine Art moderner Viola«, schlug Arabella vor. »Ich werde nachsehen müssen, was diese übellaunigen Boten bringen«, fügte sie hinzu. »Vielleicht werfe ich ihnen für ihre Mühen einen Ring zu.«
»Ich bin sicher, die liebliche Olivia wird wissen, wie sie mit ihnen umzugehen hat«, fiel Anna mit ein.
Arabella verneigte sich artig und folgte Andrews aus dem Salon.
Anna bewunderte gerade Tintorettos Perseus und Andromeda, als Arabella zurückkehrte. Das fröhliche Lächeln war einem finsteren Gesichtsausdruck gewichen.
»Gibt es ein Problem?« Anna drehte sich um und sah ihre Gastgeberin an.
»Diese übellaunigen Gesellen haben mir meinen Ring zurückgeworfen«, erwiderte Arabella. »Sehen Sie es sich selbst an.«
Anna folgte ihr in die Halle, wo sie auf Andrews und einen Hausdiener stieß. Sie entfernten die Schutzhülle einer roten Kiste, von der Anna gehofft hatte, sie würde sie nie wieder sehen.
»Sie muss aus New York geschickt worden sein.« Arabella studierte einen Aufkleber auf der Kiste. »Wahrscheinlich reiste sie mit derselben Maschine, in der Sie saßen.«
»Offenbar verfolgt sie mich«, seufzte Anna.
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»Diese Wirkung scheinen Sie auf Männer zu haben«, meinte Arabella.
Sie beobachteten, wie Andrews das Luftpolster entfernte und die Leinwand freilegte, die Anna zuletzt in Antons Atelier gesehen hatte.
»Das einzig Gute ist, dass wir das Meisterwerk jetzt wieder in den Originalrahmen einfügen können«, sagte Anna.
»Aber was sollen wir mit ihm machen?«, fragte Arabella und zeigte auf den Hochstapler. Der Butler hüstelte diskret. »Haben Sie einen Vorschlag, Andrews?«, fragte Arabella. »Wenn ja, dann raus damit.«
»Nein, Mylady«, antwortete Andrews, »aber ich dachte, Sie würden
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