Die Farbe der Gier
Jack.
»Wer dann?«
»Fenston, würde ich wetten.«
»Warum?«
»Keine Ahnung«, meinte Jack, »aber ich habe die feste Absicht, das herauszufinden.«
»Und wie willst du das anstellen, Boss?«
»Indem ich ein Überwachungsteam auf Tina Forsters Wohnung ansetze, bis Anna Petrescu das Gebäude verlässt.«
»Wir wissen doch nicht einmal, ob sie dort ist«, wandte Joe ein.
»Sie ist dort.« Jack legte den Hörer auf.
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12. SEPTEMBER
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WÄHREND DER NACHT fand Anna nur wenige Minuten
Schlaf. Sie dachte über ihre Zukunft nach und kam zu dem Schluss, dass sie genauso gut nach Danville zurückkehren und eine Galerie für lokale Künstler eröffnen könnte, solange potenzielle Arbeitgeber mit Fenston in Kontakt treten und seine Seite der Geschichte hören konnten. Allmählich gewann sie das Gefühl, dass ihre einzige Hoffnung zu überleben darin bestand, dass sie bewies, was Fenston wirklich plante, was sie nicht ohne Victorias volle Kooperation bewerkstelligen konnte, und dazu gehörte unter Umständen, alle relevanten Unterlagen zu zerstören, sogar ihren Bericht.
Beim Frühstück, bestehend aus schwarzem Kaffee und Bagels, ging Anna ihren Plan mit Tina durch. Sie einigten sich auf einige Grundregeln, die sie befolgen wollten, solange Anna unterwegs war. Anna hatte keine Kreditkarte und kein Handy mehr, darum würde sie Tina nur in ihrer Wohnung anrufen und immer aus einer öffentlichen Telefonzelle – und niemals zweimal aus derselben. Anna würde sich mit ›Vincent‹ melden und keinen anderen Namen verwenden. Der Anruf sollte nie länger als eine Minute dauern.
Anna verließ die Wohnung um 4 Uhr 52, in Jeans, einem blauen T-Shirt, einer Leinenjacke und einer Baseballmütze. Sie war nicht sicher, was sie erwarten würde, als sie an diesem kühlen, dunklen Morgen auf den Bürgersteig trat. Nur wenige Menschen befanden sich auf den Straßen und die wenigen hielten die Köpfe gesenkt – ihre nach unten gerichteten Gesichter offenbarten eine Stadt in Trauer. Niemand schenkte Anna einen zweiten Blick, während sie zielgerichtet über den Bürgersteig ging, den Koffer hinter sich herziehend, die Laptoptasche über die Schulter gehängt. Egal, in welche 104
Richtung sie auch sah, ein nebliger, grauer Schleier hing immer noch über der Stadt. Die dichte Wolke hatte sich zwar aufgelöst, aber wie eine Krankheit hatte sie andere Teile des Körpers infiziert. Aus irgendeinem Grund hatte Anna beim Aufwachen angenommen, die Wolke sei verschwunden, doch wie ein unwillkommener Gast auf einer Party war sie wohl die Letzte, die gehen würde.
Anna kam an einer Schlange von Menschen vorbei, die bereits anstanden, um Blut zu spenden, weil sie hofften, man würde noch mehr Überlebende finden. Anna war eine Überlebende, aber sie wollte nicht gefunden werden.
Um sechs Uhr an diesem Morgen saß Fenston an dem
Schreibtisch in seinem neuen Büro in der Wall Street. In London war es schließlich schon elf Uhr. Sein erster Anruf galt Ruth Parish.
»Wo ist mein van Gogh?«, verlangte er zu wissen, ohne sich die Mühe zu machen, seinen Namen zu nennen.
»Guten Morgen, Mr. Fenston«, sagte Ruth, erhielt aber keine Antwort. »Wie Ihnen zweifelsohne bekannt ist, musste das Flugzeug, in dem sich Ihr Gemälde befand, nach der gestrigen Tragödie umkehren.«
»Und wo ist mein van Gogh?«, wiederholte Fenston.
»Sicher gelagert in einer unserer Sicherheitsstahlkammern im Zollbereich. Natürlich müssen wir die Zollfreigabe erneut beantragen und auch die Exportlizenzen erneuern. Aber es besteht kein Grund, das vor …«
»Tun Sie es heute«, befahl Fenston.
»Heute Morgen wollte ich eigentlich die vier Vermeers aus
…«
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»Scheiß auf Vermeer. Ihre wichtigste Aufgabe besteht darin, dafür zu sorgen, dass mein Gemälde versandbereit auf die Abholung wartet.«
»Aber der Papierkram könnte einige Tage in Anspruch nehmen«, entgegnete Ruth. »Ich bin sicher, Sie wissen, dass es jetzt einen Überhang gibt infolge …«
»Scheiß auf den Überhang«, erklärte Fenston. »In dem Augenblick, in dem die Flugsicherheitsbehörde die Beschränkungen aufhebt, schicke ich Karl Leapman los, um mein Gemälde einzusammeln.«
»Aber meine Leute arbeiten bereits rund um die Uhr in Extraschichten wegen der zusätzlichen Aufgaben aufgrund …«
»Ich sage das jetzt nur ein einziges Mal«, meinte Fenston.
»Wenn das Gemälde zum Versand bereit ist, sobald mein Flugzeug in Heathrow landet, werde ich Ihr Honorar verdreifachen,
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