Die Farbe der Gier
Südturm erneut einstürzte – wie der Höhepunkt eines Katastrophenfilms.
Anna lehnte sich zurück und starrte auf die Karte auf dem Küchentisch. Sie prüfte zum zweiten Mal – oder war es das dritte Mal? – ihre Strecke aus New York heraus. Sie machte sich gerade detaillierte Notizen von allem, was getan werden musste, bevor sie am nächsten Morgen aufbrach, als die Wohnungstür aufgerissen wurde und Tina hereinstolperte – einen Laptop über der Schulter, einen sperrigen Koffer hinter sich herziehend.
Anna rannte in den Flur, um sie zu begrüßen. Tina wirkte erschöpft.
»Tut mir Leid, dass es so lange gedauert hat, Liebes«, sagte sie, während sie das Gepäck im Flur abwarf und über den frisch 99
gesaugten Teppich zur Küche ging. »In meiner Richtung fuhren nicht viele Busse«, fügte sie hinzu, »vor allem nicht, wenn man sein Geld vergessen hat.« Sie ließ sich schwer auf einen Küchenstuhl fallen. »Ich fürchte, ich musste mir etwas von deinen 500 Dollar leihen, sonst wäre ich nicht vor Mitternacht heimgekommen.«
Anna lachte. »Jetzt bin ich dran, dir einen Kaffee zu machen«, schlug sie vor.
»Ich wurde nur ein einziges Mal aufgehalten«, erzählte Tina weiter, »von einem sehr freundlichen Polizisten, der dein Gepäck durchsuchte und akzeptierte, dass man mich vom Flughafen zurückgeschickt hatte, nachdem ich keinen Flieger besteigen konnte. Ich konnte sogar dein Ticket vorzeigen.«
»Irgendwelche Probleme in der Wohnung?«, fragte Anna, als sie die Kaffeekanne zum dritten Mal füllte.
»Ich musste nur Sam trösten, der dich offenbar anbetet. Er sah aus, als ob er schon seit Stunden geheult hatte. Ich musste nicht einmal David Sullivan erwähnen, weil Sam nichts anderes tun wollte, als über dich zu reden. Es schien ihm egal zu sein, wohin ich gehe, und dann war ich auch schon im Aufzug.« Tina sah sich in der Küche um. Sie hatte die Küche seit ihrem Einzug nicht mehr so sauber erlebt. »Hast du einen Plan gemacht?«, fragte sie und sah auf die Straßenkarte, die auf dem Küchentisch lag.
»Ja«, meinte Anna. »Sieht so aus, als ob meine Chancen am Besten stehen, wenn ich die Fähre nach New Jersey nehme und mir dann ein Auto miete, denn laut den neuesten Nachrichten sind alle Tunnel und Brücken geschlossen. Bis zur kanadischen Grenze sind es zwar über 400 Meilen, aber ich sehe keinen Grund, warum ich es nicht bis morgen Nacht zum Flughafen von Toronto schaffen sollte. Dann könnte ich schon am Morgen darauf in London sein.«
100
»Weißt du, wann morgens die erste Fähre geht?«, wollte Tina wissen.
»Theoretisch gehen die Fähren ununterbrochen«, sagte Anna.
»Aber praktisch alle 15 Minuten ab fünf Uhr früh. Doch wer weiß, ob sie morgen überhaupt gehen, geschweige denn laut Fahrplan.«
»Wie auch immer«, meinte Tina, »ich schlage vor, dass du zeitig zu Bett gehst und versuchst, etwas Schlaf aufzuholen. Ich stelle den Wecker auf 4 Uhr 30.«
»Auf vier«, bat Anna. »Wenn die Fähre um fünf Uhr ablegt, will ich die Erste in der Schlange sein. Ich vermute, New York zu verlassen, könnte sich als schwierigster Teil der Reise erweisen.«
»Dann nimmst du besser das Schlafzimmer.« Tina lächelte.
»Ich schlafe auf der Couch.«
»Kommt gar nicht in Frage.« Anna goss ihrer Freundin einen Becher frischen Kaffee ein. »Du hast schon mehr als genug für mich getan.«
»Nicht annähernd genug«, wehrte Tina ab.
»Wenn Fenston jemals herausfindet, was du getan hast«, entgegnete Anna ruhig, »kündigt er dir fristlos.«
»Das wäre das Geringste meiner Probleme«, erwiderte Tina.
Jack musste unfreiwillig gähnen. Es war ein langer Tag gewesen
– und er hatte das Gefühl, dass es eine noch längere Nacht werden würde.
Niemand in seinem Team dachte daran, nach Hause zu gehen, und alle schienen – und klangen – allmählich erschöpft. Da klingelte das Telefon auf seinem Schreibtisch.
»Boss, ich dachte, ich sollte dich wissen lassen, dass Tina Forster, Fenstons Sekretärin, vor zwei Stunden im Thornton House aufgetaucht ist«, meldete Joe. »40 Minuten später kam 101
sie mit einem Koffer und einem Laptop wieder heraus und ist zu ihrer Wohnung zurückgegangen.«
Jack setzte sich kerzengerade auf. »Dann muss Anna Petrescu am Leben sein.«
»Obwohl sie uns das offensichtlich nicht wissen lassen will«, ergänzte Joe.
»Aber warum?«
»Vielleicht will sie, dass wir sie für vermisst halten, womöglich für tot«, schlug Joe vor.
»Wir nicht«, erwiderte
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