Die Farbe der Gier
Tür und als er sie öffnete, fügte er hinzu: »Ich wünschte nur, Sie hätten sich für die Stelle beworben.«
Olga Krantz stand immer noch im Schatten, als Anna Petrescu das Gebäude verließ. Das Treffen musste gut gelaufen sein, 248
denn eine Limousine wartete auf sie und der Chauffeur hielt den hinteren Wagenschlag auf. Wichtiger noch, die Holzkiste war nirgends zu sehen. Jetzt hatte Olga Krantz die Wahl. Sie war sicher, dass die Petrescu über Nacht in ihr Hotel zurückkehren würde, während sich das Gemälde immer noch im Gebäude befinden musste. Sie traf eine Entscheidung.
Anna machte es sich im Wagen des Vorsitzenden bequem und entspannte sich zum ersten Mal seit Tagen. Sie war zuversichtlich, dass Mr. Nakamura zumindest ein realistisches Angebot unterbreiten würde, selbst wenn er sich mit den 60
Millionen nicht einverstanden erklärte. Warum hätte er ihr sonst seinen Wagen zur Verfügung stellen und sie für den folgenden Tag um einen neuen Termin bitten sollen?
Als Anna vor dem Seiyo abgesetzt wurde, ging sie direkt zur Rezeption, nahm ihren Schlüssel in Empfang und begab sich dann zum Aufzug. Hätte sie sich nach rechts und nicht nach links gewandt, wäre sie an einem frustrierten Amerikaner vorbeigekommen.
Jacks Blicke folgten ihr, als sie in die leere Aufzugskabine trat.
Sie war allein. Kein Anzeichen der Kiste und, wichtiger noch, kein Anzeichen des Kurzhaarschnitts. Die Verfolgerin musste die Entscheidung gefällt haben, bei dem Bild zu bleiben, nicht bei der Botin. Jack musste sich zügig überlegen, was er tun würde, falls Anna Petrescu mit ihren Koffern auftauchte und zum Flughafen fuhr. Wenigstens hatte er dieses Mal nicht ausgepackt.
Olga Krantz stand mindestens eine Stunde im Schatten, verlagerte nur hin und wieder ihren Standort. Sie bewegte sich mit der Sonne. Da kam plötzlich der Wagen des Vorsitzenden zurück und parkte vor dem Eingang der Maruha Stahlwerke.
Einige Augenblicke später glitten die Türen auf und 249
Mr. Nakamuras Sekretärin tauchte mit einem Mann in roter Uniform auf, der eine Holzkiste trug. Der Fahrer öffnete den Kofferraum, während der Türsteher das Gemälde hineinlegte.
Der Fahrer hörte gut zu, als ihm die Sekretärin die Anweisungen des Vorsitzenden übermittelte. Der Vorsitzende musste über Nacht mehrere Anrufe nach Amerika und England tätigen und würde daher in der Firmenwohnung übernachten. Er hatte das Gemälde gesehen und wünschte, dass es zu seinem Haus auf dem Land gebracht würde.
Olga Krantz musterte den Verkehr. Sie wusste, dass sie nur eine einzige Chance hatte – und auch nur, wenn die Ampel auf Rot stand. Sie war dankbar, dass es sich um eine Einbahnstraße handelte, und mittlerweile wusste sie auch, dass die Ampel am unteren Ende der Straße 45 Sekunden auf Grün stehen würde. In dieser Zeit, so rechnete sie sich aus, fuhren ungefähr 13 Autos über die Kreuzung. Sie trat aus den Schatten und bewegte sich verstohlen über den Bürgersteig, wie eine Katze, die wusste, dass sie eines ihrer neun Leben aufs Spiel setzte.
Die schwarze Limousine des Vorsitzenden fuhr auf die Straße in den Vorabendverkehr hinein. Die Ampel stand auf Grün, aber es waren fünfzehn Autos vor ihr. Die Krantz stand genau gegenüber der Stelle, an der ihrer Meinung nach das Fahrzeug zum Stehen kommen würde. Als die Ampel auf Rot schaltete, ging sie langsam zur Limousine; schließlich blieben ihr noch 45
Sekunden. Als sie nur noch einen Schritt entfernt war, ließ sich die Krantz auf ihre rechte Schulter fallen und rollte unter den Wagen. Sie krallte sich fest in die Karosserie und zog sich mit gespreizten Gliedmaßen nach oben. Als die Ampel auf Grün schaltete und sich die Limousine des Vorsitzenden in Bewegung setzte, war sie nicht mehr zu sehen.
Einmal, in den rumänischen Bergen, als sie vor den Rebellen floh, hatte sich die Krantz wie eine Klette an die Unterseite eines Zwei-Tonnen-Lasters geheftet und war meilenweit durch unwegsames Gelände gefahren. Sie hatte 51 Minuten 250
durchgehalten und erst, als die Sonne endlich unterging, fiel sie erschöpft zu Boden. Anschließend wanderte sie querfeldein in Sicherheit, wobei sie die letzten 14 Meilen joggte.
Die Limousine bewegte sich in unstetem Tempo durch Tokio und es dauerte zwanzig Minuten, bevor der Fahrer die Stadtautobahn verließ und in die Berge fuhr. Einige Minuten später, nach einer weiteren Abzweigung, befanden sie sich auf einer viel schmaleren Straße mit weitaus weniger
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