Die Farbe der Gier
gelesen hatte, das sie aber stets hatte aufsuchen wollen: nicht Gucci, nicht Burberry, nicht Calvin Klein, sondern die Messerhandlung Nozaki, die sich etwas unbehaglich zwischen ihre neuen Nachbarn schmiegte.
Olga Krantz fühlte sich zu dem Eingang hingezogen wie Feilspäne zu einem Magneten. Als sie die Straße überquerte, blieben ihre Augen auf die Eingangstür der Maruha Stahlwerke geheftet, falls die Petrescu außerplanmäßig auftauchen sollte.
Olga Krantz vermutete, dass das Treffen der Petrescu mit 240
Mr.
Nakamura einige Zeit in Anspruch nehmen würde.
Schließlich würde er eine solche Geldsumme nicht einfach ausgeben, ohne zu erwarten, dass ihm einige Fragen beantwortet würden.
Auf der anderen Straßenseite schaute die Krantz in das Schaufenster, wie ein Kind, für das Weihnachten drei Monate früher gekommen ist. Pinzetten, Nagelscheren, Linkshänder-scheren, Schweizer Armeemesser, Schneiderscheren mit langen Klingen, eine Victorinox-Machete mit einer vierzig Zentimeter langen Klinge – aber alle verblassten neben einem zeremoniellen Samurai-Schwert (circa 1783). Die Krantz hatte das Gefühl, im falschen Jahrhundert geboren zu sein.
Sie trat ein und stieß auf eine Präsentation von
Küchenmessern, für die Mr. Takai, Abkömmling eines Samurai, so berühmt geworden war. Sie entdeckte den Inhaber, der in einer Ecke stand und Messer für seine Kunden schärfte. Die Krantz erkannte ihn sofort und hätte dem Meister gern die Hand geschüttelt, aber sie wusste, sie würde sich dieses besondere Vergnügen versagen müssen.
Während Olga Krantz immer wieder wachsam zum Eingang der Maruha Stahlwerke schaute, inspizierte sie die handgeschmiedeten japanischen Werkzeuge: rasiermesserscharf und täuschend leicht, mit dem Firmennamen NOZAKI auf jede Klinge geprägt, als ob man – wie Cartier – zu betonen wünschte, dass eine Fälschung nicht akzeptabel sei.
Olga Krantz hatte schon vor langer Zeit eingesehen, dass sie es nicht riskieren konnte, ihr bevorzugtes Tötungsinstrument in ein Flugzeug mitzunehmen, darum hatte sie keine andere Wahl, als in den Ländern, in denen Fenston eine Kundenkartei endgültig zu schließen beabsichtigte, ein lokales Produkt zu erstehen.
Sie begann in aller Ruhe mit der Auswahl, während sie von den Suzumushi ein Ständchen bekam, Hausgrillen in winzigen Bambuskäfigen, die von der Decke hingen. Olga Krantz starrte 241
wieder über die Straße zum Eingang, aber von der Petrescu war immer noch nichts zu sehen. Also kehrte sie zu ihrer anstehenden Aufgabe zurück und testete zuerst die unterschiedlichen Messersorten – Obstmesser, Gemüsemesser, Brotmesser, Fleischmesser – auf Gewicht, Balance und Größe der Klinge. Nicht mehr als 20 Zentimeter, niemals weniger als zehn Zentimeter.
In wenigen Minuten hatte die Krantz eine engere Auswahl von drei Messern getroffen, bevor sie sich zu guter Letzt für die preisgekrönte Global GS5 entschied – 14 Zentimeter, von denen behauptet wurde, sie könnten ein Rumpsteak ebenso mühelos durchtrennen wie eine reife Melone.
Sie reichte das Messer ihrer Wahl einem Verkäufer. Er lächelte – was für ein schmaler Hals – und wickelte das Küchenmesser in Reispapier ein. Die Krantz zahlte in Yen.
Dollar hätten nur die Aufmerksamkeit auf sie gelenkt und sie besaß keine Kreditkarte. Ein letzter Blick auf Mr. Takai, bevor sie widerwillig den Laden verließ, um in die Anonymität der Schatten auf der anderen Straßenseite abzutauchen.
Während Olga Krantz darauf wartete, dass die Petrescu wieder erschien, entfernte sie das Reispapier von ihrem neuesten Kauf.
Sie hätte das Messer zu gern gleich ausprobiert. Sie ließ die Klinge in eine Scheide gleiten, die maßgefertigt worden war, um in die Innenseite ihrer Jeans zu passen. Das Messer schmiegte sich perfekt hinein, wie eine Waffe in ein Holster.
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DIE EMPFANGSDAME konnte ihre Überraschung nicht
verbergen, als der Türsteher plötzlich mit einer Holzkiste auftauchte. Sie legte die Hände auf den Mund – eine ungewöhnlich beredte Reaktion für eine Japanerin.
Anna bot keine Erklärung, nannte nur ihren Namen. Die Empfangsdame sah auf der Liste der Bewerber nach, die an diesem Nachmittag vom Vorsitzenden interviewt werden sollten, und machte einen Haken neben ›Dr. Petrescu‹.
»Mr. Nakamura interviewt gerade noch einen anderen Bewerber«, sagte sie. »Aber er sollte in Kürze frei sein.«
»Wofür interviewt er denn?«, fragte Anna.
»Ich habe keine Ahnung.« Die
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