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Die Farbe Der Leere

Die Farbe Der Leere

Titel: Die Farbe Der Leere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cynthia Webb
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war.
    »Das begreife ich nicht.« Barry war ernstlich verstört. »Sie zahlen dir so wenig, dass man sie eigentlich verklagen müsste, und jetzt leistest du auch noch ehrenamtliche Sozialarbeit?«
    Sie wollte ja keine Gewohnheit daraus machen, erklärte sie ihm. Es war eine einmalige Angelegenheit. Der Junge war – sie hatte nach Worten gesucht – interessant. Und es würde ihr eine neue Perspektive verschaffen, einen anderen Blick auf ihre Arbeit. Sie würde ein besseres Verständnis für die Konsequenzen der Unterbringung entwickeln. Das war nicht gelogen, aber sie verschwieg, dass sie sich für mindestens ein Jahr zu solchen Visiten bei Jonathan verpflichtet hatte.
    »Tu mir einen Gefallen«, hatte er schließlich gesagt, als klar war, dass sie ihre Verabredung einhalten würde. »Nimm wenigstens ein Taxi.«
    In den Straßen um die Gerichtsgebäude war sie sicher. Dort war sie Teil der kontrollierenden Macht. Hier hingegen fühlte sie sich allein und verwundbar und sehr, sehr weiß. Sie kannte die Statistiken. Die Verbrechensrate war in dieser Gegend höher als irgendwo sonst in New York. Einige dieser Viertel wiesen die niedrigsten Pro-Kopf-Einkommen der gesamten Vereinigten Staaten auf, ihre Bewohner lebten in schier unvorstellbarer Armut.
    Nun parkte sie wieder auf der Straße vor dem schäbigen Holzhaus, stieg aus und schloss das Auto ab. George Jackson, der Hausvater, öffnete ihr die Tür. Sie kannten sich. Seit sie ihm das erste Mal begegnet war, bewunderte Katherine die Energie des großen, freundlich dreinschauenden schwarzen Mannes, seine Redlichkeit wie seine Fähigkeit, bei der Führung eines Haushalts mit einem Dutzend Halbwüchsiger nicht die Fassung zu verlieren.
    Heute schien seine Stimmung gedrückt, doch er bot ihr seine große warme Hand zu einem ausgiebigen Händeschütteln an. »Schön, Sie zu sehen, Miss McDonald. Kommen Sie rein.«
    Er geleitete sie ins Wohnzimmer und deutete einladend auf eins der robusten Sofas mit Vinylpolstern und freiliegenden Holzrahmen. Die Einrichtung war nicht gerade modern, aber sie erinnerte Katherine entfernt an diverse Partykeller, in denen sich das gesellschaftliche Leben ihrer Teenagerzeit abgespielt hatte.
    Die Stille war beunruhigend. Sie hatte mit dem üblichen lauten Tohuwabohu gerechnet. Sonst war das Haus ihr immer übervoll vorgekommen. Das lag nicht nur an der Anzahl der Jungen, sondern auch daran, wie jeder einzelne von ihnen Platz in Anspruch nahm. Sie benahmen sich, als hinge ihre nackte Existenz daran, wie sie dem Raum um sich herum ihre Gegenwart aufzwangen. Hier lebte ein Dutzend pubertierender Jungs, die genau wussten, wie sehr ihre Zukunftsaussichten bereits eingeschränkt waren. Wenn man mit ihnen in einem Zimmer zusammengepfercht war, schien es manchmal, als hörte man die Türen ihrer Möglichkeiten eine nach der anderen zuschlagen.
    Sie saßen einige Minuten schweigend da, dann rutschte Jackson nach vorn bis an die Kante seines Stuhls und stützte die Ellenbogen auf die Knie. Seine Stimme klang heiser. »Ich hab mir Sorgen um Sie gemacht, Miss McDonald, als Sie nicht mehr vorbeigekommen sind.«
    Streute er gerade bewusst Salz in ihre Wunde, oder tat sie das nur selbst?
    Falls er es tat, erbarmte er sich schnell wieder. »Keiner der anderen Jungs hatte jemanden, der sich so engagiert hat wie Sie. Es gibt kaum Ehrenamtliche, die sich mit Kindern dieses Alters abgeben möchten. Die kleineren sind niedlicher. Und einfacher.« In seiner Stimme lag eine Bitterkeit, die sie noch nie bei ihm gehört hatte.
    Ihrem Sitzplatz gegenüber lag die Tür zum Esszimmer. Dort klebte ein großes Plakat an der Wand, auf dem bunt leuchtende Markerschrift verkündete: ›Happy Birthday, Mac!‹ Sie fragte sich, wie es Mac gefiel, seinen Geburtstag in einem Jugendheim zu verbringen.
    Jackson sah starr geradeaus, nicht in ihre Richtung. »Ich möchte Ihnen was erzählen. Ich mache einmal im Monat mit meinen Jungs einen Ausflug.«
    Sie nickte.
    »Einmal sind wir in den Zoo gegangen. Da gab es kleine Gorillababys. Süße kleine Dinger. Sie trugen niedliche kleine Windeln. Und während wir da waren, kam diese Armee weißhaariger alter Damen in Turnschuhen heraus. Es waren Ehrenamtliche, für jedes Gorillababy eine, um sie im Arm zu halten.« Er demonstrierte mit seinen Armen ein Kinderwiegen. »Diese Damen kommen jeden Nachmittag. Gorillababys sind wie Menschenbabys, sagen sie. Sie müssen umarmt und geherzt werden und Aufmerksamkeit bekommen. Sonst sterben

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