Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Farbe Der Leere

Die Farbe Der Leere

Titel: Die Farbe Der Leere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cynthia Webb
Vom Netzwerk:
einen Umzugskarton heran. Mrs. Campbell wies höflich das Angebot eines Getränks zurück.
    Von bisherigen Begegnungen wusste Katherine, dass Mrs. Campbell eher redselig war. Sie fragte sich, wie viel müßiges Geschnatter sie würde durchstehen müssen, ehe Mrs. Campbell endlich zu dem Punkt ihres Besuchs kam, wo sie Katherine mit rechtschaffenem Zorn vorhielt, sich unbefugt eingemischt zu haben. Stattdessen sagte die Frau mit zitternder Stimme: »Brian ist nicht nach Hause gekommen. Ich weiß, dass er in letzter Zeit öfter mit Ihnen zusammen war, und da dachte ich, Sie wüssten vielleicht, wo er sein kann.«
    Sie klang gar nicht zornig. Sie klang aufrichtig besorgt.
    »Tut mir leid, aber ich habe nicht die geringste Ahnung. Wie lange ist er schon weg?« Wie viel von dem, was Brian ihr anvertraut hatte, würde sie preisgeben müssen?
    »Seit er heute Morgen das Haus verlassen hat. Die Schule hat angerufen. Er ist dort nicht aufgetaucht.«
    Drei andere verschollene Jungs waren tot aufgefunden worden. Ein Schauder lief ihr über den Rücken. Aber das war lächerlich. Diese Morde hatten in der South Bronx stattgefunden – das war praktisch ein anderes Land. Und das zerrüttete Leben der Opfer hatte nichts gemein mit Brians sicherem, ordentlichem Mittelklasse-Universum.
    Kleine weiße Zellstofffetzen schneiten auf Mrs. Campbells Kleid hinab, als sie an ihrem zerknüllten Kleenextuch herumzupfte.
    Katherine murmelte: »Entschuldigen Sie mich kurz«, verschwand im Bad und kam mit einer Rolle Toilettenpapier zurück, die sie dezent auf dem Tisch vor Mrs. Campbell platzierte.
    Mrs. Campbell hatte anscheinend weder bemerkt, dass Katherine den Raum verlassen hatte, noch dass sie zurückgekehrt war.
    Katherine setzte sich wieder auf ihren Karton. Dies war nicht ihr Problem. »Ich bin sicher, dass er bald wieder nach Hause kommt«, murmelte sie lahm.
    Mrs. Campbell schien sie nicht gehört zu haben. Mit tonloser Stimme sagte sie: »Er hat schon seit ein paar Tagen die Schule geschwänzt. Er kam nachmittags zur gewohnten Zeit nach Hause, als wäre er da gewesen. Heute Morgen hat er mir erzählt, er müsse nach der Schule noch etwas in der Bibliothek recherchieren. Ich habe ihm geglaubt. Wollte ihm glauben.«
    Sie atmete einmal tief und zitternd durch. »Heute Morgen hat die Schule angerufen, wie gestern und vorgestern auch. Brian ist dort nicht erschienen. Ich habe gewartet, und dann, heute Nachmittag, habe ich in der Bibliothek angerufen. Er war nicht dort.« Sie sah auf, ihr Blick kündete von aufsteigender Panik. »Ich muss Brian finden, bevor mein Mann nach Hause kommt.«
    »Wann wird das sein?«
    »In einer Stunde. Vielleicht anderthalb.«
    »Wenn Brian nicht vorher nach Hause kommt, werden Sie Ihrem Mann alles erzählen müssen. Er ist immerhin Brians Vater.«
    Mrs. Campbells Gesicht verzog sich vor Angst. »Ich will ihn nicht aufregen.«
    »Vielleicht sollten Sie die Polizei informieren?«, schlug Katherine vor und fühlte sich dabei wie eine Verräterin. Aber Brian war nun mal kein Junge, der sich auf der Straße sicher allein durchschlagen konnte.
    »Das kann ich nicht.« Mrs. Campbell wirkte von Minute zu Minute verängstigter. »Ich sage Ihnen doch, ich kann nicht zulassen, dass mein Mann dahinterkommt.«
    Was glaubte diese Frau, was Katherine für sie tun könnte, wenn sie alle Vorschläge zurückwies? »Also schön. Als Brian die letzten Tage vom Schuleschwänzen nach Hause kam, haben Sie ihn da gefragt, wo er war?«
    Ihr Blick floh. »Wir haben nicht darüber gesprochen.«
    Katherine verspürte wachsende Frustration. Mrs. Campbell musste doch wissen, was sie von Katherine wollte. Warum konnte sie nicht einfach sagen, warum sie hier war, statt ihr diese albernen Fragespiele aufzudrängen? Hörbar gereizt stieß sie schließlich hervor: »Sie sind seine Mutter – haben Sie denn keine Vorstellung, wo er stecken könnte?«
    Etwas breitete sich in Mrs. Campbells Miene aus, und Katherine begriff, dass sie etwas zu verheimlichen versuchte. »Ich weiß nicht, wo er ist. Aber ich weiß, dass er mit jemandem zusammen ist.«
    Na, Gott sei Dank. Wenigstens würde Katherine dieser Frau nicht alles erklären müssen. Wenn Mrs. Campbell von Brians Freund wusste, gab es gar nichts weiter zu sagen.
    Katherine starrte sie auffordernd an.
    Als Mrs. Campbell weitersprach, klang sie noch stockender und kläglicher als zuvor. »Ich habe Brians E-Mails gelesen.« Sie starrte zu Boden und zupfte weitere Fetzchen aus ihrem

Weitere Kostenlose Bücher