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Die Farbe Der Leere

Die Farbe Der Leere

Titel: Die Farbe Der Leere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cynthia Webb
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hatte. Er küsste sie auf die Wange, als sie an ihm vorbeiging. Ihr war bewusst, dass sie schauspielerten, andererseits hatte sie in ihrer Ehe jahrelang nichts anderes getan. Sie würde schon noch einen weiteren Abend überstehen.
    Sie hatte ein paarmal mit ihm telefoniert, ihn aber nicht mehr gesehen, seit sie ausgezogen war. Ihr war ungemütlich bewusst, wie sehr sie ihn an jenem Tag verletzt hatte. Sie hatte seine Reaktion völlig falsch eingeschätzt, denn sie nahm an, ihre Ehe sei für ihn längst ebenso gestorben wie für sie selbst. Dass sie jahrelang aneinander vorbeigelebt hatten, Tag für Tag in tödlicher Routine, und dass Barry nun auch noch fand, das müsste fortgesetzt werden, ging über ihren Horizont.
    Sie hatte einst geglaubt, ihn zu lieben, und er hatte gesagt, er liebe sie. Und seinem Weltbild zufolge heirateten Menschen eben. Sie hatte keinen besseren Plan gehabt. Und dann gab es weitere Dinge, die verheiratete Leute eben taten. Sie kauften sich schnieke Buden und machten Skireisen und aßen mit anderen Paaren zu Abend. Und bekamen Babys. Eines Tages war ihr klar geworden, dass für sie in diesem Plan gar kein Platz war. Barry hatte nicht sie geheiratet, er hatte seine Vorstellung von einer Ehe geheiratet.
    Seine Tränen und sein Flehen hatten sie schockiert, aber das brachte ihren Entschluss nicht für eine Sekunde ins Wanken. Sie betrachtete seine Reaktion vielmehr als Beleg, dass sie das einzig Richtige tat. Wenn er so wenig von ihr wusste, dass es ihn derartig überraschend treffen konnte, dann wusste er gar nichts von ihr.
    Sie fuhr fort, das wenige zu packen, das sie mitzunehmen gedachte. Er wurde wütend und vergriff sich im Ton. Nie hätte sie gedacht, dass er solche Ausdrücke zu ihr sagen könnte. Sie hatte also auch nichts von ihm gewusst. Und das war an sich schon Grund genug zu gehen.
    Sie hatte den Eindruck, der Verlassene zu sein machte ihn weit wütender als der Umstand, dass Katherine sich von ihm trennte. Er würde bald jemanden finden, um sie zu ersetzen, da war sie sicher.
    Heute hatte er sich völlig unter Kontrolle. Sie setzte sich auf das Sofa, ohne seine Einladung abzuwarten, und bemerkte dann erst ihren Fauxpas. Er bot ihr ein Glas Wein an und stellte damit das korrekte Verhältnis zwischen Gast und Gastgeber wieder her. Sie sagte Ja, ein Glas Weißen hätte sie gern.
    Er kehrte mit dem Wein zurück, in einem Glas, das sie zur Hochzeit geschenkt bekommen hatten. Sein Benehmen war völlig entspannt. Wenn er das so durchziehen konnte, war er über den Berg. Für einen Augenblick sah sie wieder sein Gesicht vor sich, als er sie am Arm packte, um sie mit ihrem letzten Karton am Gehen zu hindern. Der dunkelrote Bluterguss mit dem exakten Umriss seiner Hand hatte ein paar Wochen gebraucht, um zu verschwinden.
    Er erzählte irgendein Anekdötchen von Leuten, die sie ebenfalls gekannt hatte. Sie vermisste sie nicht, und was sie erlebt hatten, war ihr egal. Sie hatte niemandem von denen gesagt, dass sie ihn verließ, und es war ihr auch gleichgültig, was er ihnen erzählt hatte. Ein paar der Frauen hatten Nachrichten auf ihrem Anrufbeantworter hinterlassen, aber sie hatte nicht zurückgerufen.
    »Wo sind die Papiere?«, unterbrach sie ihn mitten im Satz. Kurze Irritation huschte über sein Gesicht, doch anscheinend konnte er das einfach runterschlucken. Er zeigte auf den Esstisch. Nichts, was sie tat, würde ihn je wieder überraschen, dachte sie.
    Der Tisch war leer und frisch poliert, er schimmerte im Licht der Deckenlampe. Auf ihm lag ein Stapel Papiere, exakt rechtwinklig zur Tischkante ausgerichtet. Hastig schoss sie aus dem Sofa hoch und unterschrieb auf den Linien, die mit einem X markiert waren.
    Er eskortierte sie zur Tür und wünschte ihr eine gute Nacht, als wäre ihr Benehmen tadellos gewesen, als hätten sie einen vollendet kultivierten Abend miteinander verbracht.
    Schon beim Fahrstuhl, drehte sie sich ein letztes Mal zu ihrer alten Wohnung um. Barry stand im Türrahmen und beobachtete ihren Abgang. Sie hatte noch nie zuvor Hass in seinen Augen gesehen.

8
    Mendrinos entdeckte sie in einer Sitznische am Fenster des Esslokals. Sie hatte ihre Hände fest um etwas geschlungen, das wie eine Tasse Kaffee aussah, und starrte blicklos vor sich hin. Ihr Ausdruck, das flackernde Licht, die Schatten der herbstlichen Nacht und die dicke Glasscheibe zwischen ihnen ließen sie unnahbar erscheinen, völlig unerreichbar. Ihre Haut war so blass, dass sie fast durchsichtig

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