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Die Farbe Der Leere

Die Farbe Der Leere

Titel: Die Farbe Der Leere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cynthia Webb
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Bestechung nicht zu schade.
    Jose war nervös, kaute auf seinen Fingern und drehte sich oft zum Fenster um.
    »Warst du einer von Jonnies Freunden?«
    Er brach in Gelächter aus. »Auf keinen Fall. Der hatte keine Freunde. Das war ein schräger Vogel.«
    Warum kümmerte es ihn, wenn Jonnie nicht sein Freund gewesen war?
    Sie versuchte es noch einmal. »Mochtest du ihn?«
    Jose lächelte verlegen. »Ja, schon, er war … echt abgedreht.« Er nickte dazu mit einem Ausdruck der Bewunderung und des Staunens. »Ja, ich mochte ihn. Er war gut zu mir. Er saß einfach da, mit einem Buch. Einem ganz dicken. Die Typen haben ihn verarscht, und er hat sie einfach ignoriert.« Seine Begeisterung schwand ein wenig. »Natürlich hat er manchmal auf die Schnauze gekriegt, oder sie haben ihm was geklaut, solche Sch… Dinge. Er hat sich nicht drum geschert.«
    »Hast du ihn auch verarscht?«
    »Nein, Mann, ich doch nicht.«
    Sie starrte ihn an.
    »Na ja, schön, ich auch. Aber nur aus Show. Er wusste, dass ich das nicht so meine. Er wusste, wie es läuft. Sehen Sie mich doch an«, verlangte er. »Sehen Sie, wie klein ich bin. Wenn jemand auf die Idee kommt, ich freunde mich mit Opfern an, ist es für mich vorbei.«
    »Opfer«, wiederholte sie.
    »Ja. Die Bettnässer, die Heulsusen, wissen Sie, Opfer. Die überleben nicht lange. Jonnie war nicht wirklich ein Opfer, aber er war auch nicht keins.«
    »Weißt du, warum er die Schule geschmissen hat?«
    Er schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung, Mann. Aber es muss die Härte gewesen sein. Die Kids hier haben ihm die Klamotten geklaut, seine Bücher, seine Hausaufgaben. Sie haben ihm den Wecker ausgemacht, wenn er früh ins Bett ging, weil er am Samstag einen Test schrieb.« Er musste das wiederholen, als ob er es immer noch nicht glauben konnte: »An einem Samstag.« Und noch mal. »Er schrieb am Samstag einen Test.«
    »Was für einen Test?«
    »Keine Ahnung, so 'n Haufen Buchstaben wohl.«
    Vielleicht ein Studierfàhigkeitstest wie der SAT. »Hat er jemals irgendwas davon den Erziehern gemeldet?«
    »Naa, so einer war er nicht.« Dann: »Auch wenn ich gedacht hab, er ist nicht ganz dicht, auf diese Schule zu gehen. Sich wie 'n Weißer zu benehmen. Diesen Schlips zu tragen. Alter, er hat hart gearbeitet. Das ganze Lesen und Schreiben jede Nacht. Als er verschwunden war, da hab ich mir gewünscht, ich hätt was gemacht, als sie ihn gedisst haben.«
    Schuldgefühle waren also etwas, das sie gemeinsam hatten.
    »Ich muss jetzt los«, sagte Jose. »Musste Ihnen bloß sagen, was ich zu sagen hatte, und jetzt muss ich weg.«
    »Willst du nicht noch ein Stück?«, fragte sie.
    »Okay«, antwortete er sofort, sah aber nervös aus dem Fenster. »Aber ich kann hier nicht mehr lange mit Ihnen rumsitzen. Was sollen meine Jungs denken?«
    Diesmal ging Katherine zum Tresen und holte die Pizza.
    »Wissen Sie, in wie viel Pflegschaften ich gewesen bin?«, fragte Jose, als sie ihm sein Pizzastück überreichte. Routiniert packte er das gewaltige Stück, hielt es über sein Gesicht und schlürfte den über die Seiten herabhängenden Käse direkt in seinen Mund.
    »In wie vielen?«, fragte Katherine folgsam.
    Mit dem Mund voller Käse antwortete er: »In sieben. Fünf davon, als ich klein war, als Pflegekind. Jetzt in zwei.«
    »Warum bist du von deinen ersten Pflegeeltern weg?«
    »Eigentlich war es okay. Bloß meine Pflegemutter musste sich scheiden lassen, weil sie von ihrem Alten verprügelt wurde. Dann musste sie zurück in den Süden, um bei ihrer Mutter zu leben. Sie hat gesagt, sie liebt mich wie ihren eigenen Jungen.« Er schnaubte. »Aber ich sag Ihnen was, mitgenommen hat sie bloß ihr eigenes Gör. – Danach kam so eins zum anderen. Dann kam meine Ma vom Drogenentzug, und wir sind alle wieder nach Hause. Mein Bruder und meine Schwester, wir waren ja nie zusammen in Pflege.« Er gestikulierte vage mit den Armen.
    »Sag mir ein Beispiel für ›eins zum anderen‹.«
    »Eine Frau meinte, ich hätte ihrem Sohn seinen Hamster gekillt.«
    Ein Schauer lief ihr über den Rücken, aber sie fragte in beiläufigem Ton: »Hast du das?«
    »Doch nicht mit Absicht! Es war ein Unfall.«
    War es das? »Hattest du je einen Mentor? Als du noch in Pflege warst?«
    Er schnaubte. »Ich hatte mal 'ne Ehrenamtliche. Sie nahm mich auf ein paar Ausflüge mit und hat mir erzählt, sie würde jede Woche kommen. Ich war gerade so weit, dass ich mich jede Woche auf den Tag gefreut habe, wissen Sie? Und eines Tages kam

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