Die Farbe der Liebe
Jahren den Nachnamen ihrer Pflegeeltern angenommen. Nach allem, was sie für sie getan hatten, war es ihr ein Bedürfnis gewesen, ihnen auf diese Weise ihre Anerkennung und ihre Dankbarkeit zu zeigen.
»Ich weiß«, sagte der Anwalt und lud sie mit einer Geste ein, ihm zu folgen.
Sein Büro befand sich auf der anderen Seite des Empfangsbereichs und war viel kleiner, als Aurelia erwartet hatte. Es war von oben bis unten mit verstaubten Akten, Papieren und Fachzeitschriften vollgestopft. Der Anwalt musste erst ein paar Ordner von dem alten ledernen Drehstuhl wegräumen, der vor seinem Schreibtisch stand, ehe er ihr einen Platz anbieten konnte. Freundlich lächelnd ließ er sich ihr gegenüber nieder.
Dann räusperte er sich und schaute ihr in die Augen. »Ich bin beauftragt, mit Ihnen Kontakt aufzunehmen und Ihnen ein Angebot zu unterbreiten, Miss Carter«, sagte er. »Leider werde ich Ihnen nicht alle Fragen beantworten können, die Sie sicherlich stellen werden. Dafür bitte ich um Verständnis. Aber ich habe klare Anweisungen.«
Aurelia schwieg verwundert.
»Sie haben einen Wohltäter, einen sehr großzügigen Wohltäter«, erklärte Gwillam Irving, der stocksteif auf seinem Stuhl saß.
»Einen Wohltäter?«
»So muss man es wohl nennen«, antwortete er.
»Ich verstehe nicht ganz«, erwiderte Aurelia.
»Die Kanzlei Irving, Irving & Irving, deren Seniorpartner ich bin, ist beauftragt worden, einen auf Ihren Namen eingerichteten Treuhandfonds zu verwalten. Es handelt sich um eine nicht unbeträchtliche Summe. Das Kapital steht Ihnen an Ihrem einundzwanzigsten Geburtstag uneingeschränkt zur Verfügung. Teilsummen können Ihnen zum Zweck Ihrer weiteren Ausbildung unter bestimmten Bedingungen schon vorher ausgezahlt werden.«
Aurelia saß ganz still und versuchte zu begreifen, was sie da hörte.
Gerade als sie den Mund öffnen wollte, um dem Anwalt eine ganze Reihe Fragen zu stellen, sprach dieser weiter.
»Ich bin nicht in der Lage, Ihnen die Identität unseres Mandanten zu enthüllen. Er möchte anonym bleiben.« Er wartete ab, wie Aurelia darauf reagierte.
In ihrem Kopf ging es drunter und drüber. Sie hatte keine Ahnung, wer dahinterstecken konnte. Ihre Pflegeeltern hatten nicht viel auf der hohen Kante, obwohl sie recht sparsam lebten. Nicht, dass es ihnen je an etwas gefehlt hätte. Andere Verwandte hatte sie ihres Wissens nicht.
»Um wie viel handelt es sich?«, fragte sie.
Als er ihr die Summe nannte, verschlug es ihr die Sprache.
Gwillam Irving, der sah, dass ihr die Worte fehlten, fuhr fort: »Die Zinsen allein – wir werden natürlich dafür sorgen, dass wir das Geld bis zu Ihrem einundzwanzigsten Geburtstag bestmöglich anlegen – werden ausreichen, die Kosten Ihres Studiums zu bestreiten, und nicht nur das. So viel kann ich Ihnen garantieren.«
»Das ist ja völlig verrückt«, begehrte Aurelia auf.
»Allerdings gibt es zwei Bedingungen, die ich Ihnen erläutern muss – Sie bekommen die Einzelheiten natürlich auch noch schriftlich. Erstens müssen Sie vor Ihrem einundzwanzigsten Geburtstag an einer Universität Ihrer Wahl ein Studium aufnehmen, und zweitens …« Er verstummte, und Aurelia schaute ihn fragend an. »… und zweitens dürfen Sie vor diesem Datum keine Ehe eingehen.«
Aurelia spürte, dass sich ihr die Kehle zuschnürte. Das Ganze erschien ihr einfach nur grotesk. Nicht, dass sie vorgehabt hätte, in absehbarer Zeit zu heiraten. Sie hatte ja nicht mal einen Freund.
»Ich weise Sie ausdrücklich darauf hin, dass der auf Ihren Namen eingerichtete Treuhandfonds unweigerlich aufgelöst wird, falls Sie eine dieser Bedingungen nicht erfüllen.«
Tausende Fragen wirbelten Aurelia im Kopf herum, aber ihr war klar, dass der Anwalt sich keine weiteren Details entlocken lassen würde.
Irving schilderte ihr die Einzelheiten des Fonds, der zukünftig ihr gehören sollte, und erläuterte ihr noch einmal die Bedingungen. Schließlich legte er ihr zahlreiche Schriftstücke vor, die sie halb benommen unterzeichnete, ohne ihren Inhalt richtig zur Kenntnis zu nehmen.
Als der Anwalt sie zur Tür geleitete, reichte er ihr die Hand.
»Gratuliere, Miss Carter. Sie dürfen sich glücklich schätzen.«
Der sanfte Wind aus Richtung der Themse hatte sich gelegt; die Blätter der Bäume, die in regelmäßigen Abständen auf dem Gelände der Inns of Court standen, rauschten nicht mehr.
Wie benommen ging Aurelia auf demselben Weg, den sie gekommen war, durch die belebten Straßen der
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