Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Farbe der Liebe

Die Farbe der Liebe

Titel: Die Farbe der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vina Jackson
Vom Netzwerk:
Innenstadt zum Bahnhof. An der Ecke Bishopsgate verspürte sie plötzlich Hunger und kaufte sich an einem Obststand ein Schälchen Erdbeeren. Und wieder glaubte sie, es würden sich Blicke in ihren Rücken bohren. Als sie sich hastig umdrehte, mit dem verunsichernden Gefühl, sie würde verfolgt, konnte sie nichts entdecken. Sie biss in eine dicke rote Beere und betrachtete argwöhnisch die Passanten. Aber dies war kein Krimi, sondern das wahre Leben. Es konnte doch nicht sein, dass ihr jemand folgte. Warum auch?
    Sie verstaute die restlichen Erdbeeren in ihrer Handtasche und ging die Treppe zum Bahnsteig hinunter.
    Der Zug, der sie zur Küste bringen sollte, war bereits eingefahren. Diesmal war er nur halb voll. Aurelia suchte sich einen Platz und bemühte sich, ihre Gedanken zu ordnen und die Erlebnisse des Vormittags zu sortieren. Eine Lautsprecherdurchsage ertönte, dann schlossen sich die Türen, und der Zug setzte sich ruckelnd in Bewegung. Als sie aus dem Fenster sah, fiel ihr die dunkle Silhouette eines Mannes auf, der am Zugang zum Bahnsteig stand, jedoch rasch in der Ferne verschwand.
    Verwirrt schaute Aurelia weg und kramte in ihrer Handtasche nach einem Taschentuch, um sich den roten Saft der Erdbeeren von den Fingern zu wischen.
    Seit sie den Brief erhalten hatte, ging Aurelia immer häufiger am Meer spazieren. Bislang hatte sie ihren Pflegeeltern nichts von ihrem plötzlichen Reichtum erzählt. Vielleicht wollte sie damit erreichen, dass alles so blieb, wie es war, auch wenn sie wusste, dass sich manches unvermeidlich ändern würde. Siv begleitete sie oft, und bald verbrachten sie jeden Sonntagnachmittag auf diese Weise. Sie gingen am Strand entlang nach Old Leigh, stärkten sich mit Fish and Chips oder einer Eiswaffel, setzten sich irgendwo hin und beobachteten die weißen Segel draußen auf dem Meer und die Abgasfahnen, die über der Ölraffinerie Canvey in den Himmel stiegen.
    Sie sprachen über die Zukunft, ohne konkrete Pläne im Auge zu haben. Oft kreiste das Gespräch auch um Aurelias Treuhandfonds und wozu sie das Geld verwenden könne. Siv machte einen Vorschlag nach dem anderen, wie ein Zauberer, der Kaninchen aus dem Hut zieht.
    »Du könntest dir einen Zoo kaufen«, sagte sie. »Und Löwenbändigerin werden. Oder eine große Yacht, mit der wir dann nach Madagaskar segeln. Ich bin natürlich dein erster Offizier.«
    Aurelia blieb stirnrunzelnd stehen und vergaß, sich den nächsten Chip in den Mund zu schieben. Sie war sich nie ganz sicher, ob ihre Freundin solche fantastischen Ideen nicht vielleicht doch ernst meinte.
    »Ich bekomme das Geld aber erst, wenn ich meine Ausbildung abgeschlossen habe.«
    »Aber du darfst doch was dafür abzweigen, oder?«
    »Ja, so hat es mir der Anwalt erklärt. Ein Teil ist für die Uni, und wenn ich die hinter mir habe, kann ich mit dem Rest machen, was ich will.«
    »Na schön. Dann musst du eben eine total abgefahrene Ausbildung machen. Werde Rockstar. Oder Astronautin. Und überhaupt, studiere doch im Ausland.«
    Aurelia zuckte mit den Schultern. »Ja, du hast wohl recht. Aber mir gefällt es hier. Das Meer würde mir fehlen.«
    Siv seufzte. »Was für eine Verschwendung, dass das Geld an dich geht. Im Grunde ist es dir doch völlig schnuppe, oder nicht?«
    »Was würdest du denn damit machen?«
    »Zur Zirkusschule gehen. Es gibt da eine in Amerika. Aber das würden mir meine Eltern nie erlauben, selbst wenn ich mir das finanziell leisten könnte. Sie wollen, dass ich etwas Bodenständiges mache. Meine Mutter meint, ich soll Krankenschwester werden.«
    Aurelia schnaubte auf. »Du würdest die miserabelste Krankenschwester der Welt abgeben. Das wäre eher ein Job für Ginger. Eigentlich ist er es ja schon, oder?« Sie schaute vielsagend auf Sivs Hände und Knie, die mit den Spuren ihrer zahlreichen Stürze vom Garagentrapez übersät waren.
    Siv überhörte die spitze Bemerkung. »Warum gehen wir nicht zusammen? Hast du nicht immer gesagt, dass du mal nach Amerika willst? In das Land deiner Geburt?«
    Aurelia schwieg.
    »Himmel noch mal!« Siv erriet, dass ihre Freundin mit den Gedanken mal wieder bei dem Fremden vom Jahrmarkt war. »Du weißt nicht einmal, wie er aussieht, und seine Telefonnummer kennst du auch nicht!« Zornig kickte sie einen Kiesel ins Meer.
    Harry war es schließlich, der Sivs Eltern – ohne die beiden Mädchen einzuweihen – den Rat gab, ihre Tochter auf die School of Performing Arts in Berkeley zu schicken. Zwar übe sie noch nicht

Weitere Kostenlose Bücher