Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Farbe der Liebe

Die Farbe der Liebe

Titel: Die Farbe der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vina Jackson
Vom Netzwerk:
Stiefeletten, die sie ebenfalls ständig tragen musste, waren zwar elegant, aber unbequem. Es gab Tage, da wäre sie am liebsten barfuß umhergelaufen und hätte ihren hochgewachsenen schlanken Körper und ihre kleinen Brüste von allen einengenden Kleidungsstücken befreit.
    Warum gab man ihr keine Antwort auf die bohrenden Fragen, die sie quälten? Warum hatten ihre Eltern sich überhaupt auf dieses Unterfangen eingelassen und sie in die Hände des Ballkomitees gegeben?
    In ihren Nächten durchlebte sie seltsame, verstörende Träume, wie sie sie in der Vergangenheit nicht gekannt hatte, und sie fragte sich, ob man ihr etwas in die Speisen oder Getränke mischte, das ihre Gedanken in neue, bislang ungekannte Richtungen lenkte. Wenn Oriole in den ersten Morgenstunden erwachte, war der Kragen ihres Nachthemds schweißnass, während ihr Bilder von Eis, Feuer und sengender Sonne vor Augen standen und ihre Gedanken sich wild im Kreis drehten.
    Doch sie hatte morgens nur selten Zeit, sich näher mit ihren nächtlichen Hirngespinsten, den Traumbildern oder der aufwallenden Angst zu befassen, ehe die Dienerinnen in ihr Zimmer kamen. Und obwohl sie oft noch um Fassung rang, schlugen sie wortlos ihre Decke zurück, zogen ihr das Nachthemd über den Kopf, badeten sie, gaben ihr zu essen, halfen ihr beim Ankleiden einer der üblichen gold- und silberbesetzten Roben mit gebauschtem Rock, streiften ihr die zarten weißen Strümpfe über, die halb die cremeweißen Oberschenkel hinaufreichten, und geleiteten sie in die Räume, in denen der Unterricht stattfand. Dort schüttelte Oriole die Spinnweben des Schlafs und der bruchstückhaften Erinnerungen ab und widmete sich mit ganzer Aufmerksamkeit erneut jedem einzelnen Schritt des Rituals.
    So verging ein Tag nach dem anderen.
    Bis zum Abend des großen Balls.
    Inzwischen hatte Oriole jedes Zeitgefühl verloren. Als sie an diesem Morgen erwachte, wunderte sie sich daher zunächst, dass sie in der Nacht von Träumen verschont geblieben und ihr der Segen eines friedlichen Schlafs gewährt worden war. Sie schlug die Augen auf, musste sie jedoch gleich wieder schließen, weil strahlendes Sonnenlicht durch die halb offenen Fenster fiel. Offenbar war bereits jemand da gewesen, der die Vorhänge aufgezogen hatte. Als ein Schatten sich kurz vor das Licht schob, schaute sie noch einmal hin. Die Hausdame, die Vorgesetzte all ihrer Ausbilderinnen. In ihrer besten Kleidung.
    »Es ist soweit«, sagte sie. »Mach uns keine Schande.«
    Oriole blinzelte.
    »Man hat uns mitgeteilt, dass die diesjährigen Zeremonien nach einem Plan des Marquis durchgeführt werden, der den Ritus auch eröffnen wird. Das ist eine große Ehre«, fuhr sie fort.
    Oriole hatte bereits über den Marquis munkeln hören, und zwar nicht unbedingt Schmeichelhaftes. Viele hielten ihn für verschroben und pervers.
    »Steh auf!«
    Als die Hausdame ihr die Bettdecke wegzog, spürte Oriole, dass die frische Morgenbrise durchs offene Fenster strömte und ihre Sinne wach kitzelte. Draußen trübte kein Wölkchen den blauen Himmel. Sie erschauerte.
    Unter den Blicken der Hausdame und der maskierten Dienerinnen krabbelte Oriole unbeholfen aus dem Bett. Kaum hatten ihre Füße den Boden berührt, wurde sie von den schweigenden Frauen umringt, die an ihrem Nachthemd zupften. Sie hob die Arme, um ihnen die Arbeit zu erleichtern.
    Nackt führte man sie in eine angrenzende Kammer, wo eine Kupferwanne mit dampfend heißem, parfümiertem Wasser in der Mitte stand. Vorsichtig prüfte Oriole mit einem Zeh, ob die Temperatur richtig war, also warm und belebend, und stieg dann gehorsam hinein. Mit geschlossenen Augen und angehaltenem Atem wartete sie darauf, dass ihr die Zofen reinigendes Wasser über die Schultern gossen und es über die Hügel und Täler ihres Körpers fließen ließen.
    Als zwei erfahrene Hände ihre nackte Haut einzuseifen begannen, öffnete Oriole die Augen. Sie sah, dass die Hausdame sie prüfend musterte und die Festigkeit ihres Körpers, den anmutigen Schwung ihrer Kurven und die Blässe ihrer Haut in Augenschein nahm.
    Plötzlich hörte sie schlurfende Schritte hinter sich und schloss daraus, dass noch jemand in den Raum gekommen war. Unwillkürlich wollte sie sich umdrehen und nachsehen, doch die Hausdame gebot ihr mit strengem Blick Einhalt und untersagte ihr wortlos jede Bewegung. Die Person trat ein, dann spürte Oriole eine Hand auf ihrem Hintern. Die andere strich ihr von den Schultern bis hinunter zu dem schmalen

Weitere Kostenlose Bücher