Die Farbe der Liebe
Abschnitte unterteilten und eine kreisförmige Wasseranlage überspannten, die den Raum wie eine Art Burggraben durchzog. Das Wasser dampfte, und in einem Segment standen etwas erhöht ein Bidet und eine Toilette, die so kunstvoll gestaltet waren, dass Aurelia sie im ersten Moment für Skulpturen hielt. Das Licht strömte von allen Seiten herein.
»Hier wirst du wohnen«, sagte Madame Denoux zu Aurelia.
Aurelia fiel auf, dass es keine Vorhänge gab. Was immer hier drinnen geschah, jeder, der im Garten spazierte oder aus dem Fenster eines der umliegenden Gebäude schaute, konnte es sehen. Es wurde ihr keinerlei Privatsphäre zugestanden – ob sie sich ausziehen oder das Bad benutzen würde, sie befände sich immer auf dem Präsentierteller.
»Wie lange?«, fragte Aurelia.
»Solange es nötig ist«, erklärte Madame Denoux.
Worauf es dabei ankam oder welches Ziel erreicht werden sollte, blieb vorerst ein Rätsel. Als die Frau im grauen Kostüm aber eine Liste mit Regeln und Instruktionen von einem Klemmbrett verlas, wurde zumindest klar, dass Aurelia keine Selbstbestimmung über ihren Körper oder ihren Geist haben würde, solange sie sich im Gebäude des Netzwerks aufhielt, sondern allen zu Willen sein müsste, die man ihr als Lehrer schickte.
Ihr würden zwar nicht die Augen verbunden, aber man erwartete von ihr, dass sie die Lider schloss, damit die Anonymität ihrer Ausbilder gewahrt blieb. Diese freiwillige Blindheit sollte zudem ihre übrigen Sinne schärfen und damit die Intensität der Übungen steigern.
Aurelia fand es eine äußerst unangenehme Vorstellung, auf das Sehen verzichten zu sollen, willigte aber in diesen wie in alle anderen Punkte ein. Es wurde ihr auch erklärt, dass sie jederzeit die Möglichkeit habe, auf einen kleinen weißen Knopf an der Unterseite des Bettrahmens zu drücken, und umgehend würde ein Mitglied der Leitung informiert, dass sie die Ausbildung zu beenden wünsche. Es würde dann sofort jemand kommen und sie zum Ausgang bringen. Falls sie sich gerade in einer Übungseinheit befinde und die Sache beenden wolle, brauche sie nur einfach »Stopp« zu sagen oder, falls sie nicht sprechen könne, dreimal stöhnen, damit sei sie umgehend entlassen.
Sie war allerdings drauf und dran, ihre Zustimmung zu verweigern, als man ihr die Bedingungen eröffnete, unter denen es Andrei erlaubt sein sollte, sie zu besuchen. In der Geschichte des Balls hatte es nur selten einen Statthalter gegeben, und abgesehen von einigen wenigen außergewöhnlichen Gelegenheiten hatte er immer eine Maîtresse gehabt.
Es gab zwar keine spezielle Bestimmung, die es dem Statthalter verbot, eine Beziehung mit einer Maîtresse oder künftigen Maîtresse einzugehen; doch war der Vorstand der Organisation einhellig der Meinung, dass es sich dabei um einen sehr ungewöhnlichen Vorgang handle; und man war besorgt, dass Andreis Anwesenheit einen negativen Einfluss auf Aurelias Lernerfolg haben könnte.
Die Befürchtung war, dass sie sich aus emotionaler Verbundenheit zu ihm nicht rückhaltlos ihren Ausbildern überlassen würde, was ihre Ausbildung verlangsamen oder auch völlig unmöglich machen würde. Noch eine Maîtresse zu verlieren, wollte aber niemand riskieren. Keiner sprach es offen aus, aber es lag doch die Befürchtung in der Luft, Aurelia könnte von ihrer Mutter eine Neigung zum Durchbrennen geerbt haben.
Aurelia sollte nie erfahren, was Andrei mit dem Vorstand des Balls aushandelte, um die Erlaubnis zu bekommen, die Beziehung fortzusetzen, oder wie hart er darum kämpfen musste. Man teilte ihr letztlich lediglich mit, dass seine Anwesenheit bei bestimmten Übungseinheiten garantiert und es ihm gelegentlich gestattet sei, eine Nacht mit ihr zu verbringen, aber höchstens einmal in der Woche.
Im Gegenzug musste sie sich verpflichten, nachts jederzeit andere Besucher in ihrem Nachtquartier zu empfangen. Und egal, wer komme und was auch passiere, sie müsse von dem Augenblick an, da sie ins Bett gehe, bis zum Morgengrauen die Augen geschlossen halten.
Andrei stand neben ihr, als Madame Denoux ihr diese Bedingungen nannte.
Aurelia machte ein finsteres Gesicht. »Soll das heißen, dass Andrei nur mit mir schlafen darf, wenn ich das auch anderen Männern zugestehe? Männern, die ich nie kennenlernen werde?«
»Anderen Personen. Nicht bloß Männern«, korrigierte sie Madame Denoux, bestätigte aber mit einem Kopfnicken den Kern der Frage. Aurelia spürte, dass sich Andreis Hand fest wie ein
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