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Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition)

Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madison Smartt Bell
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aus der Bude auf der Ellis Street und sah ihn zusammen mit Louie an der Ecke Hyde Street. Louie war wahrscheinlich die ganze Nacht auf den Beinen gewesen, er war noch immer mit der samtenen Schlaghose ausstaffiert und dem hohen Filzhut mit der verrückten Feder. Aber an dem Tag war D. der erschreckendere von beiden. Seine Augen waren klein und ganz hart, und in dem brutalen Morgenlicht konnte ich die Falten sehen, die das Gefängnis in sein Gesicht gezeichnet hatte. Eine Furche war zwischen seinen Brauen, dort, wo er später das Kreuz hineinschneiden würde.
    Das sind zwei Typen, die genau wissen, was der andere treibt, dachte ich und sah sie nur einmal kurz an. Ich war schon in die entgegengesetzte Richtung unterwegs, sodass D. eigentlich bloß meinen Rücken gesehen haben konnte.
    Aber sie wussten wirklich genau, was der andere trieb. Und an jenem Tag an den Teergruben hatte D. bestimmt schon erfahren, was nicht allzu lange vorher mit Louie passiert war. Also kannte er mich schon oder eine Seite von mir. In gewisser Weise wusste er, wer ich war.

23
    »Drei Mal darfst du raten«, sagte Laurel.
    »Ich hab keine Ahnung«, erwiderte ich, und sie lächelte. Was für eine strahlende Explosion – damals kam es mir so vor, als wäre ihr Lächeln die Sonne.
    »Wenn das so ist, Pech gehabt«, sagte sie und holte ihre Hand hinter dem Rücken hervor. Auf ihrer rundlichen Handfläche lag ein großes Klappmesser der Marke Buck, wunderschön, mit Kronen und Schrauben aus Messing im braunen Hartholzgriff. Ziemlich teuer – ich kannte den Preis, weil Terrell sich immer so eins gewünscht, aber nie genug Geld hatte, um eins zu kaufen.
    »Ich hab schon ein Messer«, sagte ich. Mir fiel ein, dass ich in letzter Zeit einige von diesen Buck-Messern auf der Ranch gesehen hatte. Zum Beispiel trugen Creamy und Crunchy jede eins in schwarzen Nylonscheiden an ihre mageren Hüften geschnallt. Gestohlen, denke ich mal, denn Geld war immer knapp. Irgendwer hatte wohl eine Kiste mit den Dingern geklaut.
    »Ach ja?« sagte Laurel mit herausfordernd blitzenden Augen.
    »Ja ...«
    Ich zögerte höchstens zwei Sekunden, ehe ich in das Bündel griff, mit dem ich angekommen war. Das Bajonett war sauber, aber ich hatte die Klinge nicht mehr blankgezogen, seit ich San Francisco verlassen hatte. Ich hielt es kerzengerade in der Hand, den Daumen auf dem Stahlring, der für die Spitze des Gewehrlaufs gedacht war.
    »Oh, ja ...« Laurel machte große Augen, aber nicht lange. Ich sah, wie sie mit ihrer rosa Zungenspitze die Oberlippe berührte. Dann beugte sie sich zu ihrer Seite des Bettes und schob einen wirren Haufen bunter Halstücher von einer langen, flachen Sandelholzkiste. Darin lag ein Messer, das so lang war wie meines, mit einer gewellten Klinge, als wäre es Wasser.
    Kris, so lernte ich später, war die Bezeichnung dafür. Laurel hatte auch Bilder von tanzenden Malaysiern, die von Dämonen besessen waren und sich mit den Dingern stachen. In dem Moment aber war mir scheißegal, wie man das Ding nannte.
    Laurels Augen schimmerten, als sie um das Fußende des Bettes herumkam und wie in Zeitlupe in meine Richtung stieß. Ich parierte, langsam, sehr vorsichtig – mir war ziemlich egal, ob ich verletzt wurde, aber ich wollte auf keinen Fall Laurel treffen. Ich wusste, das Bajonett war so scharf, dass man sich damit rasieren konnte. Terrell hatte zig Stunden an der Schneide gearbeitet.
    Wir bewegten uns umeinander herum, mit lodernden Augen, die Lippen leicht geöffnet. Stoß, Parade, Parade, Stoß. Das lustvolle
Kling
von Metall auf Metall. Mein Körper pulsierte vor Erregung – Stromstöße schossen mir von den Fußsohlen bis hinauf zur Schädeldecke. D. hatte uns neue Gebrauchsformen der Angst gelehrt. Laurel fuhr mit der stumpfen Seite der gewellten Klinge nieder, und ich blockte den Überhandhieb nicht ab, ließ mich oben an der linken Brust treffen. Mein Bajonett schwang träge rechts herum und berührte sachte die Haut an ihrer Kehle. Ich hatte es nicht genügend kontrolliert, oder vielleicht hatte ich es auch genau richtig kontrolliert, denn zwischen ihren zimtbraunen Sommersprossen quoll ein hellroter Tropfen Blut hervor.
    Laurel schauderte, als sähe sie den Blutstropfen in meinen Augen gespiegelt. Sie berührte die Stelle und hielt mir den Finger hin. Ich kostete ihr Blut von den Hautrillen der Fingerkuppe. Als wir uns küssten, war es, als würde Quellwasser von ihrem Mund in meinen fließen. Ich weiß nicht, wo die Messer landeten –

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