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Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition)

Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madison Smartt Bell
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»Bänder« sagen wollen oder dass ich mir die sieben Sekunden mit Laurel etwa sieben Stunden lang angeschaut hatte. Ich wollte »im Fernsehen« sagen.
    »In den Nachrichten«, sagte ich.
    Laurel hielt die Luft an, und ich stellte mir vor, wie sie ihre pralle Unterlippe gegen die Schneidezähne drückte, während sie die Sprechmuschel des Telefons mit der Hand bedeckte.
    »Die Bilder vom elften September.«
    »O Gott.« Eine dunklere Schattierung drang in ihre Stimme, doch sie rief nicht die Götter an, denen sie und ich gedient hatten. »Ich hab so versucht, das zu vergessen. Das – das war ich nicht.«
    Ich musste die Kassette nicht mehr abspielen, um es zu sehen, Laurel, den Kopf nach hinten geworfen, die Hände wie Klauen zum Himmel gereckt, die blutigen Mundwinkel. Laurel, verwandelt in eine Furie, das flammende Selbst, das sie sein sollte.
    »Ich fasse es nicht, dass du das gesehen hast, Mae.« Sie gab sich alle Mühe, die nahtlose Oberfläche ihrer Sprache wiederherzustellen. »Das haben sie nur ein paarmal gesendet.« Sie fröstelte, das konnte ich durch die Telefonleitung hindurch spüren. »Für mich natürlich ein paarmal zu oft.«
    Schweigen.
    »Es ist schlimm hier. Es ist – es ist eine solche Verwüstung.«
    »Ich lebe in der Wüste«, sagte ich zu ihr, die erste und einzige Information dieser Art, die ich preisgab.
    »Überhaupt, ich begreife nicht, wie du mich gefunden hast. Nach so langer Zeit.«
    Die Angst war wieder da, dicht unter der Oberfläche, und ich wollte durch meinen Ekel hindurch in sie eindringen, sie besetzen und benutzen, um Laurel wehzutun oder eher, um sie etwas spüren zu lassen.
    Zwischen uns besteht ein Band, das nie zerrissen ist. Ich habe dich nie verloren, Laurel, genauso wenig, wie du mich verlieren konntest
.
    Zum ersten Mal klang sie am Telefon alt. »Ich kann das nicht, Mae. Ich schaff das einfach nicht. Überhaupt, ich weiß nicht, was du von mir willst. Nicht mehr. Was ist es? Und außerdem …«
    Außerdem
.
    »Ich bin todkrank«, sagte Laurel.
    »Das kannst du nicht sein.«
    »Doch, kann ich«, platzte sie heraus. Ihre Stimme schlug um in Gereiztheit, zuerst nur an der Oberfläche, dann tiefer. Vielleicht weint sie, dachte ich. »Mae, ich weiß nicht, wo du bist, aber ich kann nicht mit dir in diese irre Fantasterei zurückkehren. Ich kann todkrank sein wie jeder andere auch, und ich bin es.«
    Es wühlte mich auf, wie ich zu meiner Schande gestehen muss. Dass Laurel so etwas sagte. Es brachte mich einen Moment lang aus dem Gleichgewicht und ließ mich betteln.
    »Hast du vergessen …?«
    »Verstehst du denn nicht, dass ich es vergessen
will
?« Die Stimme war nun nicht mehr gereizt, sondern hart; ich spürte, wie ihre Schale fester wurde. »Mae, ich wünsche dir alles Gute, aber ruf bitte nicht mehr an.«
    In der Wüste war Sternenlicht, aber kein Mond. Der Staub hatte sich für eine Weile gelegt, und die Luft war ruhig und trocken. Ich hörte Kojoten, nicht sehr weit entfernt, aber ich sah sie nicht.
    Streck die Hand aus und berühre jemanden, dachte ich. Ich hatte noch nicht in Erwägung gezogen, dass dieser Jemand auch einen selbst berühren konnte.

39
    Was, wenn das mit Laurel nie gereicht hätte? Die Aussicht auf sich endlos entfaltende Zärtlichkeit, auf Lust ohne Schmerz – das war wie Fleisch ohne Salz. Diese Vorstellung hinterließ unwillkürlich das Verlangen, ins Herz gestochen zu werden.
    Dann also, eines Tages. Dann also.
    O. erschien an der Lodge und fragte, ob ich Eerie gesehen hätte. Er war aufgebracht, seine goldene Haut zwischen den Brauen zerfurcht. Barfuß, hemdlos war er aus seinem Rockstar-Cabrio gestiegen und hatte sich suchend umgeblickt, ehe er zu mir kam. Ansonsten war niemand zu sehen. Das heißt, einer von diesen Bikern, die gern auf dem Grundstück herumhingen, bastelte an dem Motor eines Strandbuggys herum, aber man konnte bloß seine schäbigen Gang-Abzeichen sehen, wie er da über die offene Motorhaube gebeugt stand und ihm die Arschspalte aus der Jeans lugte.
    »Nicht hier«, sagte ich zu O., was streng genommen richtig war, je nachdem, wie man
hier
definierte. In Wahrheit wusste ich genau, wo Eerie war – im Schulbusflügel, völlig weggetreten von dem Stoff, den Ted ihr gegeben hatte –, aber sie war eben nicht in der Lodge. Und falls O. befürchtete, dass Eerie bei D. war, nun, ich wusste, dass sie es nicht war, sondern jemand anderes.
    Ich ergriff O.s Hand, bemühte mich um die Unbekümmertheit eines Hippiemädchens, die

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