Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition)
mich kurz, was wohl D.s Absicht gewesen war. Ob er tief in den dunklen Höhlen unter der Gottmaske gewusst hatte, dass ich gehen würde, oder mich sogar irgendwie in diese Richtung gelenkt hatte. Aber ich dachte nie lange darüber nach, denn bei O. in Malibu war es wirklich nett.
Das Haus lag direkt am Strand wie eine weiße Lego-Burg, ultramodern mit ganz viel Glas und einer Wahnsinnsaussicht. Jeden Morgen brachte uns jemand frisch gepressten Orangensaft, und meistens gingen wir dann schwimmen, hechteten in der Brandung schreiend hintereinander her. O. musste mir das teilweise beibringen, weil ich noch immer nicht an den Ozean gewöhnt war.
Es waren noch jede Menge anderer Leute da, manche von ihnen übernachteten im Haus, und ich wusste nie so richtig, wie viele es waren oder wo genau sie schliefen. Schöne Menschen. Kleine Rudel von Groupie-Frauen kamen und gingen, manche in Haute Couture, manchmal exotische Hippie-Puppen oder echte Ausländerinnen, umhüllt von Patschuli-Schwaden und Henna-Tattoos, die sich um ihre Hände und Füße kringelten.
O. schenkte ihnen ebenso wenig Beachtung wie irgendwelchen Blumengeschenken, zumindest während ich da war. Ich schätze, wenn du alle kriegst, die du willst, hast du irgendwann zu viele. Aber O. zu vögeln, war nichts Besonderes, trotz meiner Fähigkeiten. Natürlich hatte ich von Anfang an gewusst, dass er nicht wirklich für mich da war.
Es waren auch Musiker dort, ziemlich gute sogar, die kamen, um mit O. zu spielen. Er hatte einen Raum, eine Art Studio, glaube ich, mit etlichen Gitarren und Verstärkern und einem Schlagzeug. Durch eine dicke Glaswand konnte man das Meer sehen. Aber am liebsten hörte ich ihn allein spielen und singen, abends, wenn die untergehende Sonne rot und golden auf dem Strand und der Brandung lag. O. spielte dann auf einer seiner großen honigfarbenen Akustikgitarren, und ich rollte mich zu seinen Füßen zusammen (das tat ich wirklich). Dann verstummten die Stimmen in meinem Kopf, und ich hörte bloß noch die unendliche, glühende Resonanz von O.s Stimme.
Die Texte bekam ich gar nicht richtig mit. Die meisten Songs waren für das Album
Western Wind
. Es waren meist traurige Songs in Moll über Liebe und Verlust und den Zauber, mit dem man die Rückkehr der verlorenen Geliebten herbeibeschwören konnte.
Dann, eines Tages, wollte O. mich nicht mehr im Musikraum haben. Er blickte über meine Schulter, als er mir das sagte, in Richtung irgendeines Ortes draußen im Pazifik, vielleicht Hawaii. Ich merkte bald, wie vollkommen schalldicht dieser Raum tatsächlich war. Von der Terrasse aus schaute ich fortan durch die Scheibe, sah seinen Mund und seine Hände lautlos schwimmen … Brandungsrauschen in meinen Ohren, dunkle Leere, die sich erneut in meinem Kopf bildete. Und da wusste ich, dass O. für Eerie sang, nicht für mich.
Da fragte ich mich, ob O. es erfahren haben könnte, ob er wusste, dass ich gewusst hatte, dass Eerie da war, als er gekommen war und nach ihr gesucht hatte. Vielleicht, vielleicht auch nicht, aber nicht lange nachdem ich Malibu verlassen hatte, kam O. wieder raus auf die Ranch, und ich wusste gleich, dass er nicht auf der Suche nach mir war.
Diesmal war es Nacht, und das Erste, das wir mitbekamen, war Geschrei und der Lärm eines Handgemenges. Laurel und ich waren in ihrem Zimmer, und der Krach kam von irgendwo am Anfang des Stegs – Teds laute Stimme, und eine andere, die in diesem harschen zornigen Tonfall nicht als O.s zu erkennen war. Wir zogen uns an und gingen nachsehen.
Als Laurel und ich dazukamen, landete O. gerade wieder einen Schlag mitten auf Teds Brust, und Ted ließ sich nach hinten fallen, um auf seiner Matratze zu landen. Die Flügel seiner schwarzen Weste flogen auf, und das silberne Anch-Kreuz flappte auf sein Brustbein. Er versuchte nicht aufzustehen, sondern machte mit beiden Händen das V-Zeichen.
»Friede, Mann, Friede!« keuchte Ted. »Jetzt flipp nicht gleich aus, Mann.«
O. starrte wütend von der Tür aus zu ihm runter, und zwischen ihnen saß leise weinend Eerie, das Gesicht komplett unter ihren Haaren verborgen.
»Als ob
du
wüsstest, was Frieden ist«, sagte O. »Als ob dich das interessieren würde.«
Laurel öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber ich hielt sie zurück.
Lass es passieren
, dachte ich, oder vielleicht sagte ich es auch. Es war seltsam, dass D., der eine extrem feine Nase für Ärger hatte, noch nicht aufgetaucht war, um das Problem zu lösen. Vielleicht war er gar
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