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Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition)

Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madison Smartt Bell
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das Flirren der Herbsthitze schien das Fenster über der Garage zu schimmern, von Ranken umhüllt, als würde es von Uroboros gewürgt, der sein Ei ausbrütete. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, welche Wünsche Terrell hatte, die Mary Alice ihm erfüllen konnte.
    Er lud sie ins Kino ein, spendierte ihr Burger und Milchshakes im Schlafwagen-Diner. Sie machten schon Pläne, gemeinsam zum Abschlussball zu gehen, als der noch acht Monate weit weg war, und, bei Gott, er ging sogar mit ihrer Familie in die Kirche! Aber das wirklich nur ein paarmal. Er ließ es nicht zur Gewohnheit werden. Dann begann er, abends mit ihr wegzufahren und den Wagen oben im Wald zu parken, auf den verlassenen Wendeplätzen der unfertigen Neubausiedlung, ganz nah am Rand der Wildnis, die es dort oben noch gab.
    Von da an überließ er mich mir selbst und meinen Vorstellungen, die wir bisher mit so großer Sorgfalt gemeinsam beherrscht hatten.
    Natürlich gab es noch andere außer meinem Bruder, angefangen mit seinen Kameraden aus dem Schwimmteam. Ich war selbst ein bisschen überrascht, zumindest am Anfang, als ich feststellte, dass ich hatte, was man brauchte, um eine ganze Reihe von ihnen herumzukriegen. Es war nichts dabei, wirklich, es war nichts dahinter. Selbst bei denjenigen, die es gern etwas härter hatten, oder denen, die einen auf richtig gemein machten – sobald ich die äußere Kruste durchstoßen hatte, war im Innern bloß noch Pudding.
    Im Unterschied zu meinem Bruder wussten diese Jungs nicht den Wert eines Geheimnisses zu schätzen – als hätte das, was ich mit ihnen machte, einen geheimen Wert. Und so begannen die Mädchen bald, sich in den Schulfluren gegenseitig anzustoßen und mir böse Blicke zuzuwerfen, die Sorte Blicke, mit denen mich zu Hause auch das Mom-Ding musterte.
    Ich hörte nicht auf diese Tuscheleien. Ich hörte Geisterstimmen, über Äonen hinweg, die meinen Namen riefen. Falls Terrell je etwas davon zu Ohren kam, so ließ er es mich nicht merken.

42
    Ich nahm das Gewehr mit in die Wüste und wartete neben der Hasenfährte, geduckt im Schatten eines Felsens. Keine Hasen. Kein Wasser. In meinem trockenen Mund hatte ich einen Stein.
    Ich konnte Mäuse huschen hören, aber ich konnte sie nicht sehen, was ich ungewöhnlich fand, da die Farbe der Nacht so hell war. Der Mond schien, und der Wüstenboden krümmte sich weg von seinem matten Licht wie die Spiegelung einer Mondlandschaft. Yuccas ragten stachelgleich aus den Rissen zwischen den weißen Steinen. Weiter zum Horizont hin waren Büschel aus Besengras und die gewundenen Zweige eines Mesquitebaums zu sehen, die sich gespenstisch in den Himmel reckten.
    Der Rauchgeruch von Blutopferungen erhob sich zwischen den Hörnern des Altars. Hörner des Mondes.
    Bald kam ein Kojote auf der Jagd nach Mäusen – schnell und wachsam wie eine Katze fixierte er mit den Augen unsichtbare Beute und stürzte sich auf sie. Ich hob das Gewehr und visierte ihn im Zielfernrohr an. Der Kojote wandte den Kopf in meine Richtung. Ohren gespitzt, bereit. Sein ganzes Sein auf den Schatten des Felsens gerichtet, von dem er wissen musste, dass er mich verbarg.
    So verharrten wir lange Zeit. Ich hielt ihn bis zum Morgengrauen im Fadenkreuz, dann ließ ich ihn gehen.

43
    Das nächste Mal sah ich O. … ich meine, nach unserer Affäre in Malibu, die länger dauerte, als ich am Anfang gedacht hätte. Es war, wie wenn man eine streunende Katze hochhebt, ein Weilchen mit ihr spielt und sie dann vergisst, sie laufen lässt. Man kommt nicht auf die Idee, dass das Kätzchen tollwütig sein könnte.
    Als ich klein war, brachte Terrell mir bei, wie man Schlangen fängt und hält – natürlich keine Giftschlangen, aber Kükennattern und die schwarzen Schlangen, von denen es den Sommer über im Wald wimmelte. Nach einer Weile gewöhnten sie sich an einen und schlängelten sich um Arme und Beine, wärmten sich an der Temperatur des fremden Blutes. Wir hoben sie in einem Korb auf, bis der Hunger sie wieder bösartig machte, aber oft hielten sie eine Woche durch, bis das passierte.
    Mehr hatte ich von meiner Eskapade mit O. nicht erwartet. Keine Frau des VOLKES reichte an Eerie heran. Ich wusste, dass ich reine Ablenkung war, und das genügte mir völlig. Ich denke, ich hoffte ehrlich, ihn ein bisschen aufbauen zu können, wenn auch nur für eine gewisse Zeit. Und nachdem Laurel in D.s Panoptikum oben in der Lodge bestellt worden war, was hätte ich da machen sollen?
    Ich fragte

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