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Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition)

Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Farbe der Nacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madison Smartt Bell
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schwer wie ein Sack Zement, deshalb kam ich nur langsam voran, als ich den Seitenstreifen des Highways entlangfuhr.
    Alle paar Minuten strich ein Paar Scheinwerfer über mich hinweg, und einmal lehnte sich ein Besoffener aus dem Fenster und brüllte irgendwas, das ich nicht verstand. Am Ende der Fahrt war gar kein Verkehr mehr. Ich ließ das Fahrrad am Straßenrand liegen und ging die zweihundert Meter zu meinem Wohnwagen. Um diese Zeit wurde es langsam hell, und ich ging nicht in die Wüste.

36
    Ein feiner grauer Staub wehte über die Wüste. Er überzog jedes Fenster, drang durch jede Ritze. Den ganzen Tag hindurch fraßen sich die Maschinen in den Fels der Berge. Ein unaufhörliches Jaulen ihrer Warnanlagen, wenn sie zurücksetzten und wieder zum Angriff übergingen. Zwischen dem Rattern und dem monotonen Geräusch war das Flüstern der Pumpen zu hören, die die Aquifere trocken saugten. Der endlose Krach sterblicher Motoren, die sich damit abmühten, Babylon zu erbauen.
    Grauer Staub verklebte mir die Kehle. Ich sehnte mich nach meinen alten Stimmen, hörte aber nichts.
    Reißt es nieder. Reißt es nieder. In Gottes Namen, äschert es ein.

37
    Ich fuhr zum Lake Mead, um nach Wasser zu suchen. Die reglose Oberfläche erstreckte sich in die Ferne, weiter als das Auge reichte. Die Wasserrinnen in dem himmelhohen Damm rauschten, Touristen schnatterten und Möwen kreischten, während sie hoch oben kreisten, tausend Meilen vom Meer entfernt, und im Sturzflug herabstießen, um nach unseren Hinterlassenschaften zu schnappen.
    Ein Kasino für Aasfresser. Die Möwen kreisten mit der Hingabe von Glücksspielern, die mit Hebeln und Knöpfen die Spielautomaten melken. Ich sah eine herabstürzen, die es auf ein ganzes Sandwich abgesehen hatte und mit dem Schnabel über die Schulter eines Touristenkindes hinweg schnappte. Der Vater schüttelte die Faust und jagte hinter dem Vogel her, während Brot und Wurst über die Uferpromenade verstreut wurden und andere Möwen herunterschossen, um sich ihren Anteil zu sichern.
    Wenn die Touristen Brot aufs Wasser warfen, brodelte die dumpfe Oberfläche des Sees von den gummiartigen Lippen der Karpfen, die um jeden durchweichten Krümel miteinander kämpften.
    Als ich wegging, quatschte mich ein Bettler an. Ich winkte ihn weg, ohne hinzusehen, aber irgendwie erinnerte er mich trotzdem an jemanden. Die Augen in seinem verschorften Gesicht folgten mir wachsam. Seine dreckige Hand blieb weiter ausgestreckt. Er schien meinen Namen zu kennen.
    Als ich genauer hinsah, erkannte ich Corey. Ich konnte nicht mehr sagen, wann genau er aus dem Kasino geflogen war, aber es konnte kaum so lang her sein, dass er dermaßen tief abgestürzt war. Ich gab ihm eine Handvoll Kleingeld aus meiner Tasche und ging weiter.

38
    »Mae«, sagte Laurel, als ich das nächste Mal anrief, und nach einem Moment antwortete ich ihr. Eine kleine Quelle tat sich in mir auf, als ich ihren Namen aussprach.
    Und dann müssen wir ein Gespräch geführt haben, denke ich. Zumindest begann Laurel zu reden.
Es ist so lange her
… irgendwas Banales in der Art. Die ersten paar Minuten lauschte ich nur dem Timbre ihrer Stimme.
    Laurel war auf eine Privatschule in Neuengland gegangen und danach zwei Jahre auf die Uni in Stanford, ehe sie sich D. und dem VOLK anschloss. Ihre vornehme Art zu sprechen kam wahrscheinlich von ihrer Familie, aus der Zeit, bevor all die anderen Dinge geschahen. Ich war ein bisschen neidisch darauf gewesen, glaube ich, am Anfang. Aber wenn sie erregt war, sprach Laurel anders; die Stimmlage wurde dann dunkler, der Ton voller. Dann hörte ich die Wildheit, die in ihr war und darum rang, herauszukommen.
    Damals. Damals hörte ich das. Jetzt bot sie mir nur ihre gelehrte Fassade, und ich sagte wenig:
Ja … Sprich weiter
… Ich ließ die Stille anschwellen, wann immer Laurel aufhörte zu reden.
    Ohne genau auf ihre Worte zu achten, bekam ich doch ein paar Informationen mit. Laurel war nach New York gezogen, wo sie an einer Schule unterrichtete. Sie war jetzt irgendwas in der Verwaltung einer erstklassigen Privatschule in Greenwich Village. Ja, sie war noch solo, oder wieder. Aber es gab ein Kind, eine Tochter – ich bekam ihren Namen nicht mit.
    Unter der sorgsamen Modulation ihrer Stimme hörte ich nichts von dem alten Feuer, sondern Beklommenheit. Eine Spur von Angst. Es stieß mich ab und zog mich an.
    »Laurel«, sagte ich. »Ich hab dich gesehen.«
    »Du …«
    »Die Bänder.« Ich hatte nicht

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