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Die Farbe der See (German Edition)

Die Farbe der See (German Edition)

Titel: Die Farbe der See (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan von der Bank
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gesehen hatte, am Grund des Meeres und in Gestalt einer Seejungfrau.
    Die Lina dieser Nacht war höchst real und hatte ganz bestimmt keinen Fischschwanz, sondern Beine. Lange, schlanke Beine und einen Hintern, dessen Rundungen tatsächlich so perfekt waren, wie er in jenem kurzen Moment zu sehen geglaubt hatte, als sie in ihrem nassen Kleid über ihm ins Boot geklettert war. Davon konnten sich seine Hände nun ausgiebig überzeugen.
    Sie beugte sich zu ihm herab und küsste ihn ins Gesicht und auf den Mund, leidenschaftlich und mit der Zunge. Dabei bemerkte er, dass auch ihre Hände unterwegs waren und keinerlei Anstalten machten, auch nur einen Zoll seines Körpers auszulassen.
    »Komm nach vorne«, wisperte sie nach einer Weile, und auf dem kurzen Weg zur breiteren Vorschiffskoje verloren sie beide wie von Zauberhand, was noch an Kleidungsstücken auf ihrer Haut war. Und mit ihnen das letzte bisschen Scheu und Zurückhaltung, das vielleicht noch daran gehangen hatte.
    Es sollte Ole später immer ein Geheimnis bleiben, wie plötzlich dann doch noch all das Realität geworden war, was er sich so lang erträumt hatte. Aber im Hier und Jetzt, an Bord dieser Yacht, die den Namen Schicksal trug, gab es keine Gedanken, nur Gefühle. Sinnlichkeit. Die nächste Berührung und der nächste, neue, erregende Blick auf ihren Körper.
    Auf ihre Schultern, die zarte Rinne, die ihren Rücken hinunterführte bis zu den delikaten Lendengrübchen, auf ihren flachen Bauch und die leichte Senke rund um den Nabel, die er mit Küssen bedeckte. An dieser Stelle nahm sie seinen Kopf in die Hände und führte ihn mit sanftem Druck ein Stückchen tiefer, damit er auch das kleine, dichte Dreieck seidenschwarzer Haare küsste. Und alles, was noch unterhalb davon verborgen lag.
    Manchmal, sehr selten, gab es auf See ein Phänomen, das Elias-Feuer oder Sankt-Elms-Feuer genannt wurde. Ole selber hatte noch nie eines gesehen, wohl aber sein Vater und sein Großvater. Nüchtern betrachtet handelte es sich dabei um eine elektrostatische Entladung, die in der Takelage eines Schiffes auftrat, wenn es in einen besonders heftigen Gewittersturm geriet. Aber wenn die Alten die unheimliche, weiß lodernde Lichterscheinung beschrieben, dann taten sie dies mit gesenkter Stimme und voller Ehrfurcht vor dem Übersinnlichen.
    In dieser Nacht, als er sich in Lina spürte und sie gemeinsam vom Sturm ihrer Lust fortgerissen wurden, hätte Ole schwören können, ebenfalls ein Sankt-Elms-Feuer gesehen zu haben. Allerdings nicht oben im Mast, sondern seltsamerweise hier unter Deck, auf der Vorschiffskoje. Aber was sonst konnte es gewesen sein, als dieses übernatürliche Phänomen, das sie mit einer derartigen Spannung auflud, dass die kleinste Berührung Funken schlug, das ihre Körper mit diesem seltsam glänzenden Licht überzog und das sie schließlich in grellen, heiß lodernden Blitzen ineinander explodieren ließ?

11. Kapitel
BLUTROT
    Kurz vor Sonnenaufgang war die See still und von einem unglaublichen, intensiven Rot. Spiegel eines lodernden Himmels, dessen farbgewaltige Intensität von hellem Orange über Karmesin und Zinnober bis zu dunklem Purpur und Kupfer alle Töne dieser Farbe einschloss und mit seinem unwirklichen Licht selbst die schweren, dunklen Felsen der Schären in eine weiche, fließende Landschaft verwandelte.
    Für die Fischer auf den Nordfriesischen Inseln hatte ein roter Morgenhimmel meist ganz profan eine baldige Verschlechterung des Wetters angekündigt. Aber es hatte auch die anderen gegeben, die Spökenkieker und die abergläubischen alten Weiber, die im unheimlichen Leuchten dieser Farbe einen Unheilsboten sahen. Morgenhimmel blutig rot bringt Verderb und Tod. Ein uralter Spruch auf den Inseln, der von zahllosen Schiffbrüchen bei stürmischem West erzählte, von auf See gebliebenen Fischern, die die Wetterzeichen allzu leichtfertig ignoriert hatten, vielleicht sogar noch von jenen Tagen, als sie regelmäßig vom Feind aus dem rauen Norden geplündert worden waren, wenn deren Langboote vom auffrischenden Wind statt nach England auf die Strände der Friesischen Inseln getragen wurden.
    Natürlich, Rot war die Farbe des Krieges, der Feindschaft, des Zorns. Es war die Farbe des Blutes, das bisher geflossen war, um der geheimen Pläne willen, die in ihrer Schatulle im Salon der Lotten standen. Hülsmeyer, Rausch, Professor Sønstebye und seine norwegischen Freunde waren dafür gestorben, bald auch von Wellersdorff. Ja, sogar Ole hatte

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