Die Farbe der See (German Edition)
anderen in Marstrand verhaftet und hingerichtet worden waren, haben wir jede Hoffnung aufgegeben. Wir dachten, dass ihr Übrigen auf der Flucht vor der Polizei seid. Und natürlich auch, dass die Pläne verloren sind.«
Carl-Petter Askildsen klopfte auf die Schatulle, die sie erst vor wenigen Minuten aus dem Hafenbecken gezogen hatten und die noch immer nass glänzte.
Er war ein stattlicher Mann mit langem, vollem Haar und sorgsam getrimmtem Kinnbart. Beides war, obwohl er noch keine fünfzig Jahre alt sein konnte, bereits schlohweiß. Seine braunen Augen hinter der kleinen, runden Brille ebenso wie seine Stimme waren von auffallender Weichheit, die so rein gar nicht zu der Härte des Überfalls passen wollte, den er über sie gebracht hatte.
»Als wir euch dann heute Abend draußen vor dem Valfångare auf Deutsch miteinander reden gehört haben, dachten wir, ihr seid feindliche Agenten. Deswegen haben wir euch diesen … unerfreulichen Empfang bereitet. Es tut mir von Herzen leid! Vor allem dir gegenüber, Ole Storm. Nach allem, was Lina mir erzählt hat, hast du unserer Sache sehr geholfen.«
»Schon in Ordnung«, brummte Ole und warf Lina einen verlegenen Blick zu.
Sie lächelte warm zurück, mit etwas in ihrem Blick, das Stolz sein konnte und Erleichterung. Inzwischen vielleicht sogar noch etwas mehr.
Sie saßen zu viert um einen wackeligen Holztisch in einem zweiten Schuppen, Lina, Ole, Askildsen und ein weiterer Norweger, den Ole in der Kneipe gesehen hatte. Er war untersetzt und jünger als Askildsen, aber sprach ebenso wie dieser ein beinahe akzentfreies Deutsch und hatte sich ihnen als Jacob Lundegård vorgestellt.
Diejenigen, die ihn überwältigt hatten, allesamt schwedische »Freunde« der beiden Norweger, waren zu Oles Erleichterung nicht zu sehen. Askildsen hatte angedeutet, dass sie draußen Wache standen, falls die Polizei die Schüsse aus Linas Pistole gehört hatte.
Auf dem Tisch standen die Schatulle mit den Plänen, die Öllampe, die Flasche Aquavit aus der Kneipe und ein Verbandskasten.
Askildsen selber hatte es sich nicht nehmen lassen, Oles Arm zu versorgen. Die Schnittwunden schmerzten seit dem Angriff wieder heftig und hatten von Neuem zu bluten begonnen.
Aber nicht nur deswegen war Ole noch immer reichlich schwummerig zumute. Noch keine halbe Stunde war vergangen, seit er auf das Messer vor seinem Gesicht gestarrt hatte, in der festen Überzeugung, sein Leben werde in diesem Holzschuppen in Smögen enden. Und vermutlich würde es Tage dauern, bis er den Fischgeruch aus der Nase bekäme, der von der Klinge ausgegangen war.
»Du bist noch ganz blass. Hier!«, sagte Lina und hielt ihm die Flasche hin.
Ole schüttelte den Kopf. Statt seiner nahm Lina einen kräftigen Schluck.
»Gut! Also«, sagte sie dann und atmete tief durch, »hier sind die Pläne! Ihr wisst, welche Bedeutung sie haben, und ihr wisst, wie gefährlich sie sind. Wir haben unseren Teil getan. Jetzt seid ihr dran. Und ich will hoffen, dass ihr sie sicher auf das U-Boot …«
»Wir werden die Pläne nicht nehmen!«, unterbrach sie Lundegård.
Ole und Lina tauschten einen erschrockenen Blick.
»Was soll das heißen?«, fragte Lina brüsk. »Ihr nehmt die Pläne nicht?«
»Du hast es gerade selber gesagt, Lina«, antwortete Askildsen mit sanftem Lächeln und begann, Oles Arm zu verbinden. »Die Pläne müssen gut bewacht werden, bis sie an Bord des U-Bootes sind. Aber Jacob und ich, wir haben eine lange, riskante Fahrt vor uns. Noch heute Abend. Wir müssen hinauf nach Strömstadt und dann zu Fuß über die Grenze, um die Passagiere in Empfang zu nehmen.«
»Ihr wisst vermutlich, um wen es sich handelt«, ergänzte Lundegård lapidar. »Auf der norwegischen Seite der Grenze wird die halbe deutsche Wehrmacht hinter ihnen her sein. Und selbst wenn wir sie sicher auf schwedischem Boden haben, müssen wir mit Schwierigkeiten rechnen.«
»Ihr seht also, die Pläne wären bei uns schlecht aufgehoben«, sagte Askildsen.
Ole und Lina tauschten einen hilflosen Blick. Dass man ihnen die Pläne nicht abnehmen könnte, wenn der Kontakt zu den Widerstandskämpfern erst einmal hergestellt war, damit hatten sie keine Sekunde lang gerechnet.
»Aber ihr habt doch bestimmt jemanden, der sie sicher für euch aufbewahren kann, bis ihr zurückkommt?«, fragte Lina. »Hier in Smögen.«
Lundegård schüttelte den Kopf.
»Wir kommen nicht hierher zurück. Dazu ist gar keine Zeit. Das Rendezvous mit dem U-Boot ist bereits morgen
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