Die Farbe der See (German Edition)
heruntergebrannt. Bald würde die Flut kommen und die Reste ins Meer holen. Aber noch strahlte die Glut eine Hitze ab, die im Wettstreit mit der Kühle der Nacht ein angenehmes Prickeln auf Oles Gesicht verursachte. Oder kam das vom Alkohol?
Nils war schon vor gut einer Stunde verschwunden, eine Flasche Köm in der Hand und zwei Mägde vom Sieversen-Hof im Arm. Ole stand noch mit ein paar von den alten Kumpels von früher zusammen, aber es wurde nicht mehr viel gesprochen. Ole kam das entgegen. Das Knacken und Knistern des Feuers war ohnehin mehr nach seinem Geschmack als die immer gleichen Geschichten vermeintlicher Heldentaten des Krieges.
Plötzlich stand Elsbeth neben ihm.
»Hallo, Ole!«, sagte sie.
»Hallo«, antwortete er, zugegebenermaßen etwas verwirrt.
Seit der Sache vor zwei Jahren hatten sie beide versucht, einen Bogen umeinander zu machen, wann immer Ole auf der Insel gewesen war.
Sie hatte sich verändert, wirkte irgendwie erwachsener, weiblicher. Kein Babyspeck mehr. Nur die unzähligen Sommersprossen waren noch da und das kupferrote, widerspenstige Haar, das sie immer noch zu zwei dicken Zöpfen geflochten trug. Genauso, wie sie es schon als Kind getan hatte, als sie gemeinsam die Schulbank gedrückt hatten, in der kleinen Dorfschule von Nebel.
Ole hatte geglaubt, dass sie schon vor einer ganzen Weile nach Hause gegangen war. Wenn sie zurückgekommen war, dann doch nicht etwa seinetwegen?
»Gehen wir ein Stück?«, fragte sie.
Ole nickte stumm und wie selbstverständlich hakte sie sich bei ihm unter. Als sie den Strand entlangspazierten, plauderte sie munter auf ihn ein. Was auf der Insel so alles passiert war, seit es Ole zur Marineausbildung verschlagen hatte. Dass die Fischer wegen der Feindaufklärung nicht mehr so weit hinausfahren durften wie früher. Dass ein englischer Wellington-Bomber von einer Flakstellung auf Eiderstedt abgeschossen worden und direkt neben dem Hof von Elsbeths Onkel in der Nähe von St. Peter heruntergekommen war. Belangloses Zeug.
Ole hingegen schwieg die meiste Zeit. Er wunderte sich, warum sich Elsbeth auf einmal so offensichtlich zu ihm hingezogen fühlte. Und er wunderte sich über sich selbst. Mit einem der meistumworbenen Mädchen der Insel im Arm in einer sternenklaren Nacht am Strand, was hätte er dafür noch letzten Sommer nicht alles gegeben?
Aber jetzt? Etwas ratlos blieb Ole stehen und blickte den einsamen Pfad ihrer Fußspuren zurück. Der warme rote Schein des Feuers war irgendwo hinter ihnen in der Dunkelheit verschwunden, und Ole hatte das verwirrende Gefühl, als sei ihm auf dem Weg hierher noch irgendetwas anderes verloren gegangen.
Irgendwann wich der harte Sand des Strandes dem weicheren der Dünen. Ole hatte keine Ahnung, wohin sie ihn geführt hatte. Irgendwo in die Mitte zwischen Norddorf und Nebel vermutlich. Die beiden großen Leuchtfeuer Amrums, deren Peilung ihm sonst immer verlässlich den Weg nach Hause gezeigt hatten, waren wegen der Verdunklung abgeschaltet worden. Und um sich ohne sie zu orientieren, dafür hatte er vermutlich ein bisschen zu viel getrunken.
»Ich bin müde. Wollen wir uns ausruhen?«, fragte Elsbeth und zog ihn, ohne seine Antwort abzuwarten, neben sich auf ein Büschel Dünengras.
Ihre Hände, die sich plötzlich irgendwie unter seinen Pullover verirrten, waren kalt. Genau wie ihre Lippen, die kurz darauf feucht über sein Gesicht wanderten.
Oles Kopf schwirrte. Er war sich nicht sicher, ob er das hier wirklich wollte. Ihr Atem ging schneller, als sie ihn immer heftiger zu küssen und dabei ihre Bluse aufzuknöpfen begann. Ole schloss die Augen, als sie seine Hand auf ihren Busen zog. Er war klein und flach und die harten Brustwarzen drängten sich förmlich zwischen seine Fingerspitzen. Elsbeth setzte sich auf ihn, zog ihren Rock hoch und begann, sich mit leisem Stöhnen an ihm zu reiben.
So weit waren sie schon einmal miteinander gewesen. Nur andersherum. Damals war Ole derjenige gewesen, der es forciert hatte. Angestrengt versuchte er sich vorzustellen, wie es sich damals angefühlt hatte. Aber seine Erinnerung fand nichts. Jedenfalls nichts, das mit Elsbeth zu tun hatte.
Vor seinem inneren Auge tauchte wie von selbst ein anderes Bild auf: ein seidenes, weit aufgeknöpftes Pyjamahemd, schlafzerzauste dunkelblonde Haare, meergrüne Augen, die angriffslustig blitzten. Ein Bild, das er seit einem halben Jahr in sich trug und das ihn einfach nicht loslassen wollte.
Nicht einmal jetzt.
Seine Finger
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