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Die Farbe der See (German Edition)

Die Farbe der See (German Edition)

Titel: Die Farbe der See (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan von der Bank
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aufzurichten.
    Er sah sich um. Nackte Wände, eine Eisentür, ein winziger Lichtschacht mit einem Gitter davor. Eine Zelle!
    Schlagartig kehrte die Erinnerung zurück. Und mit ihr die Angst. Ole hatte Geschichten gehört von Leuten – Kommunisten, Juden oder auch nur armen Säufern –, die den uniformierten Schlägern der SA oder den anderen Schergen der Hakenkreuzpartei in die Quere gekommen und auf Nimmerwiedersehen verschwunden waren. Fing es in einer solchen Zelle an?
    Plötzlich hörte er hinter sich ein Schnarchen.
    Am Kopfende seiner Pritsche stand ein Holzschemel. Darauf saß, mit dem Rücken an die Wand gelehnt und friedlich über dem Bauch gefalteten Armen, der Segelmachermeister Heribert Rausch. Mit einem warmen Gefühl der Erleichterung stupste Ole ihn an.
    »Ah, Junge …«, grunzte Rausch und streckte sich.
    »Wo sind wir?«, fragte Ole.
    »Polizeiwache Düppelstraße.«
    »Haben die uns ALLE festgenommen?«
    »Nee, nur dich!«, antwortete Rausch. »Und Hülsmeyer natürlich, das arme Schwein. Aber den haben sie wohl gleich nach Berlin geschleppt.«
    Ole schluckte. Hochverrat, tickte es in seinem Kopf. An die Wand stellen.
    »Kannst von Glück reden«, sagte Rausch, »dass sie dich nur wegen Trunkenheit am Kanthaken haben!«
    »Trunkenheit?«
    Ole zwinkerte irritiert. Tatsächlich bemerkte er jetzt den strengen Geruch nach Alkohol, der von ihm ausging.
    »Aber … Ich hab doch gar nicht …«
    »Leute, die sich absichtlich mit der Gestapo anlegen, sind weg vom Fenster. Besoffene hingegen kommen mit einer Tracht Prügel und ein paar Nächten im Loch davon«, erklärte Heribert Rausch und grinste breit. »Der Konteradmiral war so geistesgegenwärtig, dir in der Messe auf dem Schlepper eine Flasche Schnaps über den Kopf zu schütten, als er dazukam.«
    Rausch schnüffelte.
    »Friesengeist, wenn ich nicht irre. Na ja, passt ja irgendwie.«
    Ole war ungemein erleichtert. Mit diesem Kniff hatte von Wellersdorff ihm vermutlich das Leben gerettet. Er atmete tief durch.
    »Dann haben sie die Sache mit dem Koffer also nicht bemerkt?«
    »Was für ein Koffer?«, fragte der Segelmacher und runzelte die Stirn.
    Ole wurde siedend heiß klar, dass es wohl keinen schlechteren Ort geben konnte, um danach zu fragen. Rasch wechselte er das Thema.
    »Und warum sind Sie hier drin?«
    »Durfte mitkommen, um dich zu verarzten. Hättest dich mal sehen sollen!«
    Er verzog das Gesicht und deutete auf ein paar blutige Lappen, die neben einer Blechschale mit rot gefärbtem Wasser auf dem Boden lagen.
    »Hab mir erlaubt, ein paar von deinen Schmissen zu betakeln, damit die elende Bluterei aufhört.«
    Neben der Waschschale lag eine Segelmachernadel und eine Rolle dicken, weiß geharzten Takelzwirns.
    »Damit?«
    Entsetzt tastete Ole sein Gesicht ab und stöhnte auf, als er eine krustige Wulst über der Augenbraue fühlte. Am Hinterkopf und am Kinn fand er zwei weitere.
    »Ich hatte nichts anderes. Und einen Arzt wollten sie dir nicht spendieren.«
    Ole stöhnte und sackte auf die Pritsche zurück.
    »Du kannst verdammt froh sein, Junge!«, fuhr Rausch fort und rutschte mit dem Hocker neben die Pritsche. »Wenn das Mädchen nicht dazwischengegangen wäre, das Fräulein Sønstebye meine ich, dann hätten sie dir wohl das Gehirn aus dem Schädel geklopft. Sie war ganz schön mutig, diese Kleine!«
    »Lina?« Plötzlich war Ole hellwach. »Wo ist sie?«
    »Auf dem Weg nach Dänemark. Marstrand vermutlich oder gleich durch bis Svendborg. Zusammen mit ihrem Vater, ihrem Verlobten und den anderen.«
    Ole zuckte zusammen. Hatte er sich verhört?
    »Sie … Lina ist verlobt?«, fragte er schwach.
    Aber Rausch, der sich gerade richtig schön in Rage redete, überhörte die Frage.
    »Vorausgesetzt, sie schaffen es überhaupt noch aus der 12-Meilen-Zone! Erst um halb drei hat diese Gestapofresse sie ablegen lassen. Und auch erst, nachdem seine Leute in jede Hohlniete des Schleppers gekuckt haben. Von den Starbooten und dem Gepäck der Ausländer ganz zu schweigen. Die Hälfte davon haben sie konfisziert.«
    »Mit wem ist sie verlobt?«, fragte Ole noch mal und zupfte ungeduldig an Rauschs Ärmel.
    »Und das auch nur, weil von W… Was ist denn?«
    »Mit wem Lina verlobt ist?«
    »Mit dem Vorschoter ihres Vaters. Diesem Dings … na, wie heißt der noch … Svenson?«
    »Johannson, Sigur Johannson«, sagte Ole leise und schloss die Augen.
    Plötzlich meldete sich der Schmerz in seinen Gliedern zurück und alle seine Blessuren brannten

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