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Die Farbe der See (German Edition)

Die Farbe der See (German Edition)

Titel: Die Farbe der See (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan von der Bank
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eine Grimasse. Er könnte sich heute noch ohrfeigen, dass er Nils jemals von seinem vergeblichen Versuch bei Elsbeth erzählt hatte und dem peinlichen Korb, den sie ihm verpasst hatte. Zwei Jahre war das jetzt schon her, und es sah Nils verdammt ähnlich, ihn immer noch damit aufzuziehen.
    Trotz dieser und anderer weitaus weniger harmloser Frotzeleien, mit denen der Ältere ihn stets bedachte, liebte und bewunderte Ole seinen Bruder. Nils Storm, dem alles zu gelingen schien. Der die Ärmel hochkrempelte und das Problem beseitigte, wenn ihm etwas – oder jemand – in die Quere kam. Nils, dem dank seiner stets zu Scherzen aufgelegten Art und seines frechen Mundwerks schon als Fünfzehnjährigem sämtliche Röcke Amrums nachgelaufen waren. Was jetzt, seit er auf Heimaturlaub stets die schmucke Uniform eines Leutnants der Marine trug, natürlich noch schlimmer geworden war.
    Auch Ole hatte inzwischen das Blau der Kriegsmarine anziehen müssen, wenn auch mit weitaus weniger Heldendrang als sein Bruder. Vor knapp zwei Monaten war die Einberufung zur Rekrutenausbildung ins Haus geflattert, und schon in wenigen Tagen, noch vor dem offiziellen Ende einer ohnehin verkürzten militärischen Grundausbildung, würde er auf irgendeinem Kriegsschiff an die Front verlegt werden. Kämpfen fürs Vaterland, sterben für den Führer, wie man ihnen einzubläuen versucht hatte. Sterben! Natürlich hatte Ole Angst.
    »Weißt du schon, auf welchen Zossen sie dich stecken?«, fragte Nils.
    Ole zuckte die Achseln. Man hatte es ihm gesagt, aber er hatte den Namen wieder vergessen. Was hätte er auch daran ändern können? Nichts.
    Nils schwieg einen Moment, dann sagte er:
    »Ich hab auch ein neues Kommando.«
    »Aha?«
    »U-102.«
    Ole starrte seinen Bruder entgeistert an.
    »Jetzt kuck nicht so kariert! Unsere U-Boote sind das Modernste und Seetüchtigste, was die Marine zu bieten hat«, antwortete Nils. »Außerdem sind sie das entscheidende Mittel, um die Limeys in die Knie zu zwingen. Das ist wohl spätestens seit Scapa Flow klar, oder?«
    Wenn man der Propaganda glauben wollte, würden die Erfolge von Admiral Dönitz’ »Wolfsrudel«, jenem fast schon legendären U-Boot-Verband, der seit Oktober im Nordatlantik Jagd auf britische Geleitzüge machte, in Bälde die Versorgung des Gegners unterbrochen haben und so die Eroberung der Britischen Inseln ermöglichen. Wie gesagt, wenn man der Propaganda glauben wollte. Ole Storm neigte auch hier zur Skepsis. Und der Gedanke, in einer Röhre aus Stahl hundert Meter unter Wasser gefangen zu sein, war ihm alles andere als geheuer. Eine Abneigung, die er im Übrigen mit ihrem Vater teilte. Unter Wasser, pflegte der zu knurren, hat keiner was verloren, dem der Herr nicht Kiemen oder Flossen hat wachsen lassen.
    »Und … hast du’s ihm schon gesagt?«, fragte Ole.
    »Dem Alten? Bist du verrückt?«
    Einen Moment lang sah Nils aufrichtig erschrocken aus.
    Ole verkniff sich ein Schmunzeln. Ein Wutausbruch des ansonsten so ruhigen Vaters war das Einzige, vor dem Nils Storm Respekt zu haben schien. Ole konnte sich nicht erinnern, wie oft der Vater Nils als Jungen wegen irgendeiner seiner Schelmereien windelweich geprügelt hatte. Ein Schicksal, dem Ole selbst seltsamerweise meist entgangen war. Vermutlich wegen der großen Ähnlichkeit mit seiner Mutter. Auch heute, da Nils ein stattlicher erwachsener Mann war, hatte sich nichts an seiner Angst vor dem Alten geändert. Und dessen ansonsten eher trübe blaue Augen hatten noch jedes Mal gefährlich aufgeblitzt, wann immer Nils versucht hatte, die Sprache auf seine U-Boot-Pläne zu bringen.
    »Wenn du willst, rede ich mit ihm«, sagte Ole und bemühte sich, es ernst und treuherzig klingen zu lassen.
    »Wenn du das tust …«, setzte Nils drohend an, unterbrach sich aber, als er Oles verstecktes Grinsen sah.
    »Armleuchter!«, lachte er und schlug Ole mit der flachen Hand von hinten an den Kopf. »Komm, lass uns runtergehen. Bevor wir nichts zu trinken abbekommen. Oder schlimmer noch: keins von den Mädels!«
    Er erhob sich und klopfte sich den Sand von der Hose.
    »Und um den Alten mach dir mal keinen Kopp. Der erfährt’s noch früh genug! Vielleicht schreib ich ihm einfach eine Postkarte aus La Rochelle. Los, wer zuerst unten beim Feuer ist!«
    Damit sprang Nils mit weiten Sätzen die Dünen hinunter. Ole folgte ihm, so gut er konnte. Aber Nils war immer schon der Schnellere gewesen.
    Der große Holzstoß auf dem Strand war inzwischen beinahe ganz

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