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Die Farbe der See (German Edition)

Die Farbe der See (German Edition)

Titel: Die Farbe der See (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan von der Bank
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gelaufen waren, und auch er selber hatte einen mächtigen Kloß im Hals.

4. Kapitel
REGENGRAU
    Die See war grau und stumpf vom Regen. Und stumm. Sie wusste nichts zu erzählen vom zarten Spiel des Windes auf den Wellen und den geheimnisvollen Mustern einer Strömung, erst recht nichts vom hellen Glitzern des Sonnenlichts auf einer leicht geriffelten Oberfläche. Nur vom Regen sprach sie, vom kalten, anhaltenden Regen, der seit Tagen in faden, windlosen Schleiern auf die Förde niederging.
    Es war Anfang Juli und Ole war wieder in Kiel. Er blickte auf die gleichen Ufer, die er jahrelang vom Yachtclub aus gesehen hatte. Aber inzwischen war es eine andere, tristere Welt geworden, eine Welt im Krieg, eisengrau eben, und unendlich weit entfernt von jenem lichten, warmen Morgen, als er Lina zum ersten Mal begegnet war.
    Wo früher leichte weiße Yachten aus Holz und Segeltuch um die Wette gesegelt waren, lagen nun dicht an dicht die schweren, tarnfarbenen Stahlleiber der Kriegsschiffe, missmutig auf ihren nächsten Waffengang harrend. Im Regen waren sie kaum mehr als kalte Schatten vor dem verwaschenen Hintergrund des Fördeufers und der Stadt.
    Und auf eines von ihnen, die Schleswig-Holstein, hatte das Schicksal Ole nun verschlagen.
    Das Linienschiff Schleswig-Holstein war jenes Kriegsschiff gewesen, das im Jahr zuvor am 1. September mit seinen Schüssen auf die Westerplatte in Danzig den Zweiten Weltkrieg eröffnet hatte. Im Moment lag sie, nach ihrem Einsatz bei der Operation »Weserübung« in Norwegen, zur Reparatur von Gefechtsschäden und zur neuerlichen Proviantaufnahme an der Ausrüstungspier im Arsenal.
    Noch zur Kaiserzeit gebaut, war sie ein betagter, eckiger Kasten von Schiff. Unförmig und hässlich, selbst für einen Kriegskreuzer, bei denen man ohnehin keine Maßstäbe an Schönheit und Linienführung anlegen durfte. Der Bug war, wie vor dem Ersten Weltkrieg allgemein üblich, noch »falsch herum« geneigt, das Freibord mittschiffs für echten Seegang definitiv zu niedrig, und die Funk- und Signalmasten schienen sich seltsam schief nach vorne zu krümmen. Von den ursprünglich drei Schornsteinen waren, nach ihrer Umrüstung von Kohlefeuerung auf Ölkessel, nur die beiden hinteren übrig geblieben, die nun seltsam unbeholfen die Lücke zwischen Haupt- und Achteraufbau zu füllen versuchten. An ihren Schweißnähten nagte der Rost und sandte kleine braunrote Rinnsale an den fensterlosen grauen Aufbauten hinunter, nur schlecht kaschiert durch hastig aufgepönte Mennige. Wasser, Rost und Dreck sammelten sich zu trüben Pfützen, die in den Dellen und Beulen des nackten, von keinem einzigen Meter Holzplanke bemäntelten Stahldeck standen.
    Hinzu kamen die Narben, die ihr der jüngste Zusammenstoß mit britischen Verbänden vor Norwegen eingebracht hatte. Einer der beiden Geschütztürme auf dem Achterdeck hatte einen Treffer kassiert und war halb aus seiner Verankerung gerissen, Steuerbord mittschiffs hatten mehrere großkalibrige Maschinengewehrgarben oder vielleicht auch Bombensplitter tiefe Spuren hinterlassen, und auf dem geschwärzten Vorschiff schien es gebrannt zu haben. Nein, die Schleswig-Holstein war alles andere als ein schönes Schiff. Und als Ole sie zum ersten Mal gesehen hatte, war es Abneigung auf den ersten Blick gewesen.
    Eine Abneigung im Übrigen, die auf Gegenseitigkeit zu beruhen schien. Auf unheimliche Art und Weise schien auch die Schleswig-Holstein alles daranzusetzen, es Ole schwer zu machen.
    Gleich am ersten Tag war er ausgerutscht und einen der steilen Niedergänge hinuntergesegelt – etwas, das ihm bisher noch auf keinem anderen Schiff passiert war und ihm reichlich blaue Flecken und Spott eingebracht hatte. Am zweiten Tag war ein Bodengitter in einer Peilnock nicht richtig eingelegt gewesen, und Ole wäre, hätte er sich nicht im letzten Moment noch an der Reling festgehalten, um ein Haar abgestürzt. An seiner Stelle waren jedoch besagtes Bodengitter und der offene Farbtopf, mit dem er gerade hantiert hatte, zwei Stockwerke tiefer durch eine offene Ladeluke in die darunter befindliche Proviantlast eingeschlagen, wo sie für reichlich Aufregung gesorgt und Ole eine gehörige Abreibung eines Unteroffiziers eingebracht hatten. Gleich in der ersten Nacht hatte Ole festgestellt, dass genau über seiner Koje die Abwasserleitung eines der Mannschaftsklosetts entlangführen musste. Der Häufigkeit nach zu urteilen, mit der die unappetitlichen Geräusche über ihn hinweggurgelten,

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