Die Farbe der See (German Edition)
Yachtschule den neuen Riten und Regeln des Nationalsozialismus unterwarfen, widersprach zutiefst seinem für einen Friesen so typischen Drang nach Freiheit und Unabhängigkeit. Die Rigorosität, mit der beinahe das gesamte öffentliche Leben, auch hier im Club, gleichgeschaltet und »auf Linie« gebracht worden war, erschreckte ihn. Und die glühende Verehrung des Führers, die bei vielen inzwischen fast religiöse Züge annahm, war ihm fremd und unbegreiflich. Es gab schließlich nur einen Gott. Und der hieß bestimmt nicht Adolf Hitler.
Dass Ole Storm seinen eigenen Kopf bewahrte, bedeutete aber nicht, dass er keine Helden kannte. Seine hießen Schlimbach und von Hütschler und waren die besten Segler ihrer Zeit.
Schlimbach hatte mit seiner »Störtebeker III« einhand den Nordatlantik bezwungen. Und dem Hamburger Walter »Pimm« von Hütschler sagte man nach, er steuere jedes Schiff zum Sieg, das man ihm unter den Hintern schiebe. Egal, ob Jolle oder Krupp’scher 12er. Letztes Jahr hatte er in den USA souverän die Weltmeisterschaft der Starboote gewonnen. Und nun, nach seinem ersten Platz im Lauf vom Montag, schickte er sich an, vor Kiel seinen Titel zu verteidigen. Hätte Ole Geld zu verwetten gehabt, er hätte alles bis auf den letzten Pfennig auf von Hütschler gesetzt. Wenngleich mit dem amerikanischen Exweltmeister Wegeforth und dem amtierenden Europameister Straulino aus Italien härteste Konkurrenz zugegen war.
Zu gerne hätte Ole sich diesen Dreikampf aus der Nähe angesehen, aus dem Feld der Verfolger heraus. Aber dieser Wunsch war utopisch. Zwar hatte er sich durch die Teilnahme an diversen Clubregatten und einigen Langfahrten inzwischen selber zu einem ganz passablen Segler gemausert, aber die Teilnahme an einer so hochrangigen Serie wie einer Weltmeisterschaft im Star lag für ihn dennoch in unerreichbarer Ferne.
Ganz im Gegensatz zu Oles gleichaltrigem Clubkameraden Richard Korfmann. Mensch, was hatte der für einen unverschämten Dusel gehabt!
Als vor einigen Wochen bekannt geworden war, dass von Hütschlers regulärer Vorschoter Egon Beyn erkrankt war, hatte der wortgewandte, schwungvolle Blondschopf alles darangesetzt, sich in die Reihen der möglichen Ersatzvorschoter hineinzuschmuggeln. Die Tatsache, dass Richards Vater eng mit von Hütschlers Förderer, dem Hamburger Reeder Laeisz, befreundet war, mochte ein Übriges getan haben. Jedenfalls hatte von Hütschler Korfmann ausgewählt, bei dieser Veranstaltung mit ihm zu segeln.
Ole selber hingegen war, um überhaupt dabei sein zu können, nichts anderes übriggeblieben, als die weitaus bescheidenere Rolle eines Helfers in der Landorganisation der Regatta anzunehmen.
Richard Korfmann war nicht direkt das, was Ole einen Freund genannt hätte. Dafür waren der Fischersohn und der Spross aus einer der einflussreichsten Kieler Familien ihrer Herkunft nach einfach zu weit voneinander entfernt. Doch Ole war bisher ganz gut mit ihm ausgekommen. Bis jetzt, da von Hütschler Richard quasi seglerisch geadelt hatte und er Oles Sphäre endgültig entstiegen war. Seit Wochen hatten sie kein vernünftiges Wort mehr miteinander gewechselt, und Oles Segelmachermeister Heribert Rausch nannte Richard inzwischen nur noch den »Schnösel«.
Aber das alles war jetzt egal! Heute gab es eine gute Brise und es würde endlich wieder gesegelt werden. Das war das Wichtigste!
Zwei Minuten später war er beim Club.
Der Schuppen mit der Segelmacherei lag hinter dem Clubhaus. Drei Satz Starbootsegel waren umzuändern. Von Hütschler, das Erfindergenie der Bootsklasse, hatte sich wieder einmal einen neuartigen, noch tieferen Segelschnitt ausgedacht, und in der Müßigkeit der beiden Flautentage hatten zwei englische und der algerische Teilnehmer kurzerhand beschlossen, ihre Ersatzsegel auf die neue Façon ändern zu lassen. Ole hielt nicht viel von dieser Idee. Von Hütschlers Holzmast war viel dünner und biegsamer als die englischen. Wie aber sollte ein tieferes Segel an einem harten Mast flach getrimmt werden, wenn der Wind aufbriste? Ein Ding der Unmöglichkeit. Aber Ole behielt seine Weisheit lieber für sich, um seinem Chef, dem Segelmacher Heribert Rausch, nicht die zahlende Kundschaft zu verprellen.
Es war immer noch sehr früh und Ole hatte noch ein bisschen Zeit, bevor er an die Arbeit musste. Weder Segler noch Landhelfer waren zu sehen, erst recht nicht die hohen Herren der Regattaleitung oder der Jury. Nur in der Küche unter den Clubsälen rumorte es
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