Die Farbe der See (German Edition)
das der Meister sich in den Mund schob.
»Wenn nur der verdammte Krieg nicht wär!«, seufzte Rausch und wischte ein paar Reste Priem von seinem Takelmesser. »Ne Affenschande ist das. Sommer und kein einziges Segel auf’m Teich. Die Boote aufgeslippt in irgendwelchen Schuppen, machen die Planken auf, weil sie keinen Tropfen Wasser zu sehen kriegen. Die einzigen, die vielleicht noch segeln, außer uns natürlich, sind ein paar Parteibonzen. Apropos … Erinnerst du dich an diesen hübschen 50er-Kreuzer aus dem Club? Wie hieß der noch?«
»Den von Hülsmeyer?«, Ole sah ruckartig von seiner Arbeit auf. »Natürlich, die Lydia!«
Wie hätte er jemals »sein« Schiff vergessen können? Oder die Nacht, in der er unfreiwillig in die Fluchtpläne ihres Eigners eingeweiht wurde. Plötzlich tauchten noch andere, längst verdrängte Bilder auf. Zum Beispiel das von Lina, die Hülsmeyers Koffer über Bord gehen ließ, und Ole bemerkte, wie sein Herz heftiger gegen die Rippen schlug.
»Was ist mit ihr?«, fragte Ole. »Also der Lydia, meine ich?«
»Du hast das damals, glaube ich, nicht mitbekommen. Aber keine Woche, nachdem sie Hülsmeyer verhaftet haben, sind sie gekommen und haben die Yacht konfisziert. Angeblich, um sie für ihn sicherzustellen. Aber … hier!«
Rausch tippte sich bedeutungsvoll mit dem Zeigefinger unter das rechte Auge.
»Tatsächlich segelt jetzt irgendein Parteibonze mit ihr auf dem Wannsee herum. Stell dir das mal vor! So ein Schiff auf dem Wannsee.«
»Und … Hülsmeyer?«, fragte Ole.
»Ist nie wieder aufgetaucht. Das arme Schwein. Es heißt, dass er im Gefängnis Selbstmord begangen hat.«
Rausch senkte verschwörerisch die Stimme.
»Ich persönlich tippe eher darauf, dass er die Befragung der Gestapo nicht überlebt hat. Die werden ihn wohl ziemlich in die Mangel genommen haben.«
Um herauszufinden, wo sein Koffer abgeblieben ist, schoss es Ole sofort durch den Kopf. Und wer mit ihm unter einer Decke steckte. Wie eine kalte Hand griff diese Erinnerung nach ihm.
»Was hat Hülsmeyer eigentlich für eine Erfindung gemacht?«, fragte er vorsichtig.
»Genau weiß ich das nicht. Er war ein ziemlich hohes Tier in Peenemünde. Irgendwas mit diesen Dingern, na, wie heißen die … diesen Raketen vielleicht. Oder sonst irgendwelchen neuartigen Superwaffen. Der Konteradmiral will nicht, dass darüber geredet wird.«
»Und das hat seinen verdammten Grund!«, schnarrte in diesem Augenblick eine Stimme, und die Tür zur Vorpiek flog auf. Sowohl Ole als auch Rausch fuhren erschrocken zusammen.
Es war der Konteradmiral.
»Ich dachte, ich hätte das klar genug zum Ausdruck gebracht, Oberbootsmann!«
Von Wellersdorff war binnen des Dreivierteljahres sichtlich gealtert. Sein Haar war vollends ergraut und noch schütterer geworden. Die Furchen auf seiner Stirn und um den Mund waren tiefer, was seinem ohnehin scharf geschnittenen Gesicht nun einen fast asketischen Ausdruck gab. Vielleicht eine Folge der Schwierigkeiten, von denen Rausch gesprochen hatte? Aber seine grauen Augen blitzten wie eh und je, und auch seine Stimme hatte nichts von der alten Schärfe eingebüßt.
»Verdammt, Rausch, es hätte weiß Gott wer hinter dieser Tür stehen und lauschen können! Du weißt, was ich meine!«
Rausch senkte den Kopf.
»Jawohl, Herr Konteradmiral.«
Von Wellersdorffs Blick wanderte zu Ole. Er war kühl, und es war kein Anzeichen von Wiedersehensfreude darin zu erkennen.
»Na Storm? Immer noch kein sauberes Hemd am Leib, wie ich sehe!«
Ole sah an seinem noch von der Munitionsschlepperei verdreckten Äußeren herab. Siedend heiß stieg ihm das altbekannte, lästige Rot in die Wangen. Nun wusste er, warum er vorhin das Gefühl gehabt hatte, besser ein frisches Hemd anzuziehen. Immerhin schien der Konteradmiral nach dieser Zurechtweisung etwas milder gestimmt.
»Ole«, sagte er eindringlich, »was damals beim Club passiert ist, diese Razzia, das wirst du für dich behalten, verstanden? Weißt du, warum?«
»Damit die Sache mit Hülsmeyers Koffer nicht rauskommt«, antwortete Ole.
Von Wellersdorff und Rausch tauschten einen überraschten Blick.
»Was war mit dem Koffer?«, fragte der Konteradmiral langsam. Der bedrohliche Unterton in seiner Stimme jagte Ole ein unangenehmes Prickeln über den Haaransatz.
»Wieso? Lina … ich meine, das Fräulein Sønstebye hat ihn doch über Bord geworfen.«
Beide, der Segelmacher und der Konteradmiral, waren sprachlos.
Von Wellersdorff setzte sich auf die
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