Die Farbe der See (German Edition)
vor Erleichterung und Dankbarkeit die Knie weich wurden.
»Wo ist Ivar?«, fragte Lina rau.
Ole zeigte auf einen der reglosen Körper am Boden.
Trotz des flackernden rötlichen Lichts, das vom Feuer auf ihr Gesicht geworfen wurde, konnte Ole sehen, wie sie beim Anblick des blutüberströmten Kameraden erbleichte. Rasch schob sie sich an Ole vorbei und kniete neben Ivar nieder. Drei Schüsse aus nächster Nähe – Ole wusste, dass es für ihn keine Rettung mehr gab.
Ole nahm abermals Ivars Jacke auf und schlug auf die Flammen ein.
»Lina, das Feuer!«, drängte er.
Einen Augenblick später war auch Lina neben ihm und tat es ihm gleich.
Inzwischen war die gesamte Messe mit heißem, beißendem Qualm und umherfliegenden Funken gefüllt, und sie musste beim Atmen den Unterarm über den Mund pressen.
»So schaffen wir es nicht!«, schrie sie ihm zu. »Wir brauchen Wasser oder einen Feuerlöscher!«
Ole griff sich an die Stirn. Warum hatte er nicht selber daran gedacht? In der Kombüse neben dem Herd war ein Pulverlöscher angebracht. Ole hastete hinüber, riss den schweren Zylinder aus der Halterung und brachte ihn zurück in die Messe. Wie verrückt pumpte er den Handgriff auf und ab, bis genügend Druck aufgebaut war. Dann schrie er Lina eine Warnung zu und sprühte, als sie hinter ihn getreten war, den darin befindlichen Chlorkohlenstoff in die Flammen.
In wenigen Augenblicken war der Brand gelöscht, auch wenn nun in der Messe überhaupt keine Luft mehr zum Atmen war. Hustend und halb blind tasteten sie sich hinüber zum Mittelgang.
Auch hier standen dichte, schwere Rauchschwaden, aber man konnte wenigstens wieder atmen und etwas sehen.
Sigur war nicht hier, dafür aber der zweite Norweger, der vor der Achterkammer geblieben war.
Mit wütenden Tritten bearbeitete er die Tür.
Lina rief ihm eine Frage zu und er antwortete knapp. Ole sah, wie ihr die Gesichtszüge entglitten.
»Was ist?«
»Er hat das Funkgerät benutzt und das Schnellboot zurückgerufen!«, antwortete sie.
Der Norweger, den Lina Tore nannte, rief ihr erneut etwas zu. Lina nickte, trat hinter ihn und brachte ihre Waffe in Anschlag.
Aber nach dem zweiten Tritt, noch bevor das Türblatt splitternd nachgab, bellten hinter der Türe mehrere Schüsse auf.
Verdammt! Strasser hatte in seiner Kammer natürlich eine Waffe aufbewahrt!
Entsetzt sah Ole, wie Tore nach hinten stolperte und zu Boden ging. Und Lina mit ihm!
Mit einem Aufschrei war Ole bei ihr. Sie war mehr oder weniger vollständig unter Tores massigem Körper begraben und Ole konnte nicht erkennen, ob oder wie schwer sie getroffen war. Aber in ihren wirren blonden Locken klebte Blut.
»Lina!«, rief er und wollte sie hervorziehen.
Doch dann erstarrte er.
Die zersplitterte Tür zur Achterkammer schwang auf.
Direkt vor Ole stand Strasser und starrte ihn an. Der stechende Blick aus seinen tief liegenden Augen war irre, sein Mund zu einem schrecklichen Grinsen verzogen. Langsam, wie in Trance, hob er den Arm mit der Waffe, und zum zweiten Mal innerhalb weniger Minuten sah Ole dem sicheren Tod ins Auge.
Doch bevor Strasser die Pistole ganz gehoben hatte, begann seine Hand zu zittern. Drehte sich zur Seite und wurde merkwürdig kraftlos. Einen Moment später fiel die Waffe polternd auf die Planken. Blut begann Strasser aus der Nase zu rinnen, und dann – ein grauenvoller Anblick, den Ole nie vergessen würde – verdrehte er die Augen nach oben, bis nur noch das rotgeäderte Weiß seiner Augäpfel zu sehen war. Nach einer weiteren Sekunde brach er zusammen. In seinem Rücken klafften mehrere blutige Einschusslöcher.
Dahinter konnte Ole Sigur sehen. Er hing kopfüber durch das hintere Skylight, von wo aus er Strasser erschossen hatte.
Diesmal konnte Ole kaum noch Erleichterung empfinden. Ebenso wenig Genugtuung darüber, dass Rauschs Mörder nun ebenfalls tot war.
Der Schock über das, was in den vergangenen Minuten passiert war, lähmte ihn.
Dann sah er, dass Lina sich bewegte.
»Lina!«, stieß er hervor. »Bist du verletzt?«
So weit es ging, drehte sie sich zu ihm herum und starrte ihn an, überrascht, als müsse sie sich erst mühsam daran erinnern, was zum Teufel ausgerechnet er hier verloren hatte.
Dann schloss sie die Lider, stieß die Luft aus und schüttelte den Kopf.
»Nein, ich bin in Ordnung. Hilf mir!«
Die Bilanz des Überfalls war verheerend.
Auf deutscher Seite hatte es drei Tote gegeben, Kaleu Strasser, der Obermaat und der Koch, ihre Leichen lagen
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