Die Farbe der See (German Edition)
geräuschlos in die Vorpiek zurück, ohne sich noch einmal im Salon blicken zu lassen. Sollten sie trinken und schwadronieren bis zum Umfallen, er würde ihnen keine Möglichkeit geben, weiter auf ihm herumzuhacken. Zumindest heute Abend nicht mehr.
Natürlich logierte Strasser nun wieder standesgemäß in der Achterkammer, und von den Schnellbootmännern hatte jeder eine der Kadettenkammern bezogen. Ole hingegen war in der Vorpiek geblieben, froh, diese für sich allein zu haben – auch wenn sie ihm nun noch karger vorkam als zuvor und mit schmerzlichen Erinnerungen behaftet war.
Eine Weile starrte Ole zu der leeren Koje von Rausch hinüber. Dann löschte er die kleine Ölfunzel, die er aus der Kombüse mit nach vorne genommen hatte, und drehte sich unter seiner Pferdedecke mit dem Gesicht zur Bordwand.
Obwohl er hundemüde war, konnte er nicht einschlafen. Also lag er einfach nur so da, die Augen geschlossen, und lauschte.
Hinter den Stimmen von Strasser und seinen Handlangern in der Messe traten nach und nach andere Geräusche hervor. Das leise Flappen eines Falls irgendwo oben im Mast, das Glucksen und Schwappen des Wassers unter dem Bug, das gleichmäßig im Auf und Ab des Schiffes wiederkehrende Knarren der Festmacher.
Und dann war da noch etwas anderes. Etwas, das Ole nicht zuordnen konnte. Leise Schritte auf den Holzbohlen der Werftpier? Stimmen, die miteinander flüsterten?
Ole erhob sich von seiner Koje und spitzte die Ohren.
Dann ein Knacken nahe am Schiff. So klang die Stelling, die mittschiffs vom Deck aus auf den Steg führte, wenn jemand den Fuß daraufsetzte.
Ole war alarmiert. Irgendjemand hatte heimlich das Schiff betreten.
Er trat unter die Vorschiffsluke und öffnete sie einen Spalt. Es musste schon nach Mitternacht sein, aber immer noch war es nicht ganz dunkel. Im bläulichen Zwielicht der nordischen Nacht lagen die Seitendecks leer vor ihm. Er hob die Luke etwas weiter an, um nach achtern zu spähen. Im Cockpit hatte sich etwas bewegt. Ein Schatten, oder besser: eine schwarz gekleidete Gestalt.
Ole hielt die Luft an. Eigentlich müsste er jetzt Alarm schlagen, aber irgendetwas hielt ihn zurück. Seine Abneigung gegen Strasser vielleicht?
Er schob den Oberkörper ein kleines Stück weiter aus der Luke hervor, um mehr von dem geheimnisvollen Eindringling zu sehen.
Blitzschnell fuhr ihm von hinten ein kräftiger Unterarm um die Kehle. Eine Hand verschloss ihm mit festem Griff den Mund.
Instinktiv begann sich Ole zu wehren, doch obwohl er alles andere als ein Schwächling war, gelang es ihm nicht, den Angreifer abzuwehren. Im Gegenteil. Sein Widersacher zwang ihn mit dem Oberkörper nach vorne, bohrte ihm das Knie in den Rücken und nagelte ihn unerbittlich mit dem Gesicht auf die Decksplanken.
»Still, oder ich brech dein Genick!«, zischte eine dunkle Stimme.
Deutsch mit einem starken nordischen Akzent. Zur Bekräftigung zog der Unbekannte Oles Kopf noch ein Stückchen weiter herum, bis es unschön zu knirschen anfing.
Ole stellte sofort seine Gegenwehr ein.
Auch unter Deck waren nun Schreie zu hören. Ole zuckte erschrocken zusammen, als auch Schüsse fielen.
Dann war plötzlich alles wieder still.
Mit einem gekonnten Griff drehte der Angreifer Ole den Arm auf den Rücken, so dass er jeden weiteren Versuch einer Gegenwehr sofort unterbinden konnte. Dann zerrte er Ole vollends aus dem Vorluk und auf die Beine.
Zwischen Großmast und Kartenhaus befanden sich mehrere Skylights. Das größte von ihnen blickte auf die Messe hinunter. Leise rief Oles Angreifer einen Namen hinab – Sigur? – und bekam von unten eine knappe Antwort. Ole konnte Dänisch leidlich gut verstehen und, da es ähnlich klang, auch ein klein wenig Schwedisch. Dies hier war eine andere Sprache. Ebenfalls nordisch, aber rauer. Norwegisch!
Augenblicke später wurde Ole den Niedergang hinunter und durch den Mittelgang in die Messe bugsiert.
Auch Strasser und die drei Schnellbootmänner waren überrascht und überwältigt worden. Im schwachen Licht der einzigen Öllampe, die noch brannte, sah Ole, dass zwei von ihnen leicht verletzt waren und bluteten, der Obermaat am Bein, ein anderer an der Hand. Alle vier standen vor dem Querschott, das Messe und Kombüse voneinander trennte. Die Hände auf den Kopf starrten sie finster auf die Pistolen, mit denen die Angreifer sie in Schach hielten.
Diese waren lediglich zu dritt, Oles Bewacher mit eingerechnet. Über den Gesichtern trugen sie schwarze Masken mit
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