Die Farbe der Träume
unterteilt war und dass diese Pfade tadellose Kanten hatten.
An die westliche Grenze des Grundstücks hatte der Gärtner einen kleinen Pflaumenbaum gesetzt, und obwohl er keine Früchte und nur wenige Blätter vorwies, umwehte ihn ein angenehmer Duft, und Harriet setzte sich neben den Baum. Sie zog eine Karotte aus der Erde, säuberte sie an ihrem feuchten Rock und aß sie – sowohl die Wurzel als auch das Grün. Die Karotte schmeckte unglaublich süß, und Harriet merkte, wie groß ihr Bedürfnis nach etwas Süßem sein musste, denn am liebsten wäre sie jetzt hier bei diesem Pflaumenbaum geblieben und hätte sich durch das Karottenbeet gefuttert.
Sie holte sich eine zweite Karotte, säuberte und aß sie, und dann wartete sie. Sie wartete auf den Gärtner, denn sie wollte sich dafür entschuldigen, dass sie sein Gemüse stahl, doch sie wartete auch, weil sie sich nicht vom Fleck bewegen mochte. Das Geräusch des Wasserfalls war immer noch ziemlich deutlich, aber Harriet hatte ihn aus ihren Gedanken verbannt, weilsie jetzt ganz und gar auf diesen Ort hier konzentriert war. Der Garten war, so schien ihr, einer der schönsten und seltsamsten Orte, die sie jemals gesehen hatte.
Immer noch kam niemand. Die Sonne stieg höher und begann zu wärmen, Harriets Röcke trockneten allmählich. Sie wäre gern in die Hütte gegangen, um zu sehen, wem all dies zu verdanken war, die prächtig gedeihenden Pflanzen und auch die Hütte, die solide und stabil wirkte. So stabil, dass sie auch die Winterwinde und die Regengüsse überdauern würde, im Gegensatzu zu den provisorischen Unterkünften, die am Fluss entlang entstanden waren.
Aber sie wollte sich nicht wie ein Eindringling oder eine Spionin verhalten. Sie aß noch eine Karotte, und dann legte sie den Kopf auf den schmalen Graspfad.
Als sie erwachte, war die Sonne hinter den Bergen verschwunden, und es war kühl.
Harriet blickte sich um, aber nichts hatte sich in der Zwischenzeit bewegt oder verändert. Sie stand auf, strich ihre Röcke glatt und ging langsam zum Fluss, wo sie sofort das Halteseil im Wasser fand, mit dessen Hilfe sie sicher das andere Ufer erreichte. Bei dem Gedanken, dass sie zum Kokatahi-Lager zurückmusste, wurde ihr plötzlich übel, und sie ließ sich auf dem Kiesstrand nieder und wartete darauf, dass die Übelkeit verging. Sie legte die Hände auf die Knie und senkte den Kopf. Sie starrte auf die grauen und bernsteinfarbenen Kiesel und beschloss, am nächsten Tag wieder hierherzukommen und weiter nach Pare und dem Wasserfall zu suchen.
Und in diesem Moment sah Harriet das Gold.
Das Gold war ein körniger Schrot zwischen den grauen und bernsteinfarbenen Steinen. Es leuchtete in der nahenden blauen Dämmerung.
II
Während Harriet fort war, erschien Will Sefton auf Josephs Claim.
»Mister Blackstone«, sagte Will mit einem spöttischen Lächeln, »ich habe gehört, Ihre Frau kann nicht ohne Sie leben. Ich habe gehört, Sie hat sie so vermisst, dass sie den weiten Weg bis zu diesem Friedhof hier gemacht hat!«
Joseph ließ die Kurbel seiner Winde los und sah Will an. Der Junge trug eine neue Jacke. Seine Locken sahen weich und sauber aus. Breitbeinig, die Hände in den Taschen seiner Moleskin-Hose, stand er da.
»Was machst du hier?«, fragte Joseph.
Will zog die Blechflöte aus einer Tasche, streichelte sie zärtlich und entlockte ihr den vertrauten dünnen, schrillen Klang.
»Verschwinde, Will«, sagte Joseph, kehrte dem Jungen den Rücken zu und begann wieder, die Handkurbel zu drehen.
Will beendete sein Spiel. »Bin schon fast weg«, sagte er. »Noch ein paar Wochen, und Sie hören meine Flöte nie mehr am Kokatahi. Ich gehe nach Schottland, mit Mr McConnell. Der kauft mir einen Kilt. Einen hübschen kleinen Kilt. Den zieh ich an und nichts darunter, nur die schöne kühle Brise zwischen den Beinen. Was sagen Sie dazu, Mister Blackstone?«
Joseph drehte sich halb um. Wills Stimme, das Unattraktivste an dem Jungen, weckte ein vertrautes altes Gefühl in ihm, jene Mischung aus Verlangen und Beschämung.
»Es ist mir völlig egal, wohin du gehst«, erwiderte Joseph.
»Stimmt doch gar nicht, Mister Blackstone!«, flüsterte Will und kam einen Schritt näher. »Wenn ich weg bin, kommen Sie nämlich nicht mehr da hin, wo Sie so gerne hinwollen. Denn Sie können mir doch nicht erzählen, dass Ihre Frau Sie ranlässt …«
»Lass mich in Ruhe!«, sagte Joseph. »Geh nach Schottland. Geh, wohin du willst, Will, mit wem auch immer. Aber lass
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