Die Farbe der Träume
Neuseelandabenteuers wiederfinden .
Erst einmal brach sie aber mit Lilian zur Orchard-Farm auf. Als Harriet in den Eselkarren kletterte, sah sie, dass Lilian ihre beste Haube aufgesetzt hatte und ein elegantes, mit Kaninchenpelz besetztes Cape trug. Sie lächelte ihre Schwiegermutter liebevoll an. Man brauchte wirklich nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie diese Dinge von der starken Strömung des Ashley fortgerissen wurden und wie die langbeinigen Vögel neugierig die Köpfe hoben, wenn sie vorbeitrieben.
V
Und wieder war es Edwin, der gelaufen kam, um die Ankömmlinge zu begrüßen. Lilian sah ihn zunächst nicht, so groß war ihr Erstaunen über die hohen Bäume rund um das Orchard-Haus. Sie hatte das Gefühl, wieder eine Welt zu betreten, in der sie sich auskannte – eine Welt, in der die Fußböden glänzten und das Muster der Suppenterrine zu dem der Suppenkelle passte.
Dann kam Dorothy die Treppe der Veranda hinuntergeeilt. Ihr kurzes Haar stand in gewohnt frecher Weise ab, und Harriet sah Lilian erschrocken nach ihrer Haube fassen, so wie jemand, der allzu herausgeputzt zu einem Essen erscheint.
»Harriet!«, rief Dorothy sichtlich erfreut. »Und der Esel lebt auch noch!«
Dorothy wollte nach den Zügeln greifen, aber Edwin, der seit Harriets letztem Besuch ein wenig gewachsen war, hielt sie schon in der Hand und streichelte dem Esel die Nase. Harriet fragte rasch nach seiner Raupe.
»Sie ist weg«, sagte er, »stimmt doch, Mama? Sie hat sich in etwas verwandelt, das Larve heißt.«
»Ja«, sagte Dorothy, »wir haben das große Rätsel der Metamorphose erörtert. Aber meine liebe Harriet, Sie müssen doch schrecklich müde sein, nach dem Ashley und überhaupt. Kommen Sie ins Haus. Edwin, hilf den Damen beim Absteigen.«
Mit steifen Knien kletterte Lilian vom Leiterwagen. Sie hatte durchaus registriert, dass sie im Durcheinander der Ankunft nicht beachtet worden war, und so berührte sie Dorothy Orchards ausgestreckte Hand nur gerade eben mit den Fingerspitzen und unterdrückte das Lächeln, das noch vor kurzem ihre Lippen umspielt hatte. Sie kannte das Gefühl, brüskiert zu werden, so gut – ein Gefühl, von dem sie eigentlich geglaubt hatte, es gehöre nur nach England, wo die Herablassung der Oberschicht jeden Kontakt vergiftete. Am liebsten hätte sie geweintoder, noch schlimmer, Dorothy Orchard einen boshaften Hieb auf ihren schlecht frisierten Kopf versetzt. Besonders wütend war sie, weil sie einfach nicht begriff, wieso es Menschen wie Dorothy Orchard stets sofort gelang, Personen, die nicht ihrer Klasse angehörten, zu dominieren. Das geschah, ehe man es überhaupt bemerkte, es war wie ein perfekt einstudierter Kartentrick. Sie schafften es binnen Sekunden, und bewusst wurde man sich dessen erst über die Gefühle , die dieser »Trick« auslöste, Gefühle, die er auch auslösen sollte. Man sollte sich »in seine Schranken gewiesen« fühlen, man sollte begreifen (ohne dass es hierfür irgendeines Wortes bedurft hätte), dass man ein unbedeutender Mensch war.
Auch wenn Lilian nicht umhinkonnte, das Orchard-Haus mit seinen geschützten Gärten und seiner massiven Veranda zu bewundern, und sich wünschte, Joseph würde eines Tages etwas Ähnliches bauen, etwas, das das elende Lehmhaus ersetzte, betrat sie das Haus nur schweren Herzens. Dorothy und Edwin hatten Harriet ganz offensichtlich in ihren magischen »inneren Kreis« aufgenommen, und jetzt unterhielten sich die drei aufgeregt über das Colliehündchen Lady. Und sie, Lilian, die vierundsechzigjährige Witwe eines Viehauktionators, trottete, die Knie noch wackelig von der Reise, als Anhängsel hinterher, mit dem Kaninchen-Cape, das lächerlich um ihre Schultern wippte, und einer Nase, die nach der bitteren Kälte auf der Fahrt im geheizten Haus peinlich glühte.
Sie wünschte plötzlich, sie wäre tot. Sie fand, sie sei schon allzu lange verletzt worden. Und da es allmählich dunkel wurde, beschloss Lilian, sich in dem sicherlich sehr kleinen Zimmer, das Dorothy ihr zuweisen würde, hinzulegen und zu schlafen, in der Hoffnung, nie mehr aufzuwachen.
Sie döste eine Weile mit offenen Augen und blickte geistesabwesend auf ihre abgelegte Haube. Das Bett war weich, und dafür war sie dankbar. Außer dem Bett gab es in dem blau gestrichenen Zimmer noch einen alten Mahagonischrank, der knarzte, als die Dunkelheit hereinbrach.
Sie hörte, wie Toby mit seiner Hündin, der Mutter der beiden Welpen, nach Hause kam und nach seiner Frau
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