Die Farbe der Träume
nichts. Deshalb grabe ich Kieserde aus. Mit der werde ich, wenn ich tief genug gegraben habe, dann den Teich auslegen.«
Wenn ich tief genug gegraben habe.
Joseph hatte keine Vorstellung davon, wie tief oder wie lange er noch am Bach würde graben müssen, bis er endlich fand, wonach er suchte.
Bei seiner Arbeit mit Pfanne und Schöpfkelle hatte er ständig darauf achtzugeben, ob Harriet oder Lilian nicht unerwartet auftauchten. In dem Fall musste er rasch sein Werkzeug unter Steinen und Erde verschwinden lassen. Das war anstrengend, und es lenkte ihn ab. Allmählich hatte er den Eindruck, dass es diese anhaltende Furcht vor Entdeckung war, die seine Sehkraft und seine Konzentration schwächte. Er wusste, dass man sich auf amerikanischen und australischen Goldfeldern erzählte, gewisse Goldgräber besäßen ein »Gefühl für die Farbe«. Das war etwas, das sich nicht erklären, nicht einmal beschreiben ließ. Aber vielleicht hatte es mit der aufmerksamen Beobachtung der jeweils speziellen Schattierungen von Schwarz, Braun, Rot und Gelb in einem Erdklumpen zu tun und damit, wie die Erde von der Schaufel fiel. Aber auch noch mit etwas anderem – mit der »Botschaft«, die der Mensch mit seinem Willen an das Ding sandte, das er begehrte. Und Joseph wusste, dass die Nähe seiner Frau und seiner Mutter seine eigene Willenskraft lähmte. Er wollte sie dort auf keinen Fall sehen, fürchtete aber, dasssie jeden Moment mit wehenden Röcken angelaufen kamen. Es war inzwischen schon so weit mit ihm gekommen, dass er den Anblick einer weiblichen Gestalt auf einem der umliegenden Hügel als hässlich und beklemmend empfand.
Und so schmiedete er einen Plan, wie er die Frauen eine Zeit lang loswerden könnte. Er erklärte Harriet, es tue ihm leid wegen Lady. Er werde ihr Geld für die Hündin geben. Lilian und sie könnten dann gemeinsam zu den Orchards fahren, dort vielleicht »ein paar Tage bleiben und ausreiten, so wie du es damals gemacht hast«, und das Hundejunge mit nach Hause bringen.
Harriet sah Joseph scharf an. Er merkte, wie sich in ihrem Kopf Fragen formten, und betete, dass sie sie nicht stellen möge. Rasch fuhr er darum fort, beim Thema Hund sei er so streng gewesen, weil »ich der Meinung war, dass ein Hund keine Notwendigkeit ist und unser Leben hier nur das Notwendige erlaubt und nichts sonst.«
Sie nickte. Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, und schloss ihn wieder.
»Ja«, sagte sie schließlich. »Danke, Joseph.«
Als sie in dieser Nacht neben ihm lag, sagte sie. »Ich habe den Hund meines Vaters gemocht. Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten, ich habe ihn geliebt. Liebe zu einem Hund ist nicht notwendig eine sentimentale Angelegenheit.«
IV
Im Laufe des Winters hatte Harriet ihrem Sammelalbum nur drei neue Objekte hinzugefügt: eine braune Wekarallenfeder, einen Grünsteinsplitter, den sie in ihrem Gemüsegarten gefunden hatte, und den Papierdeckel eines Marmeladenglases aus dem Orchard-Haus, auf den Edwin eine Windmühle gemalt hatte.
Immer wenn sie die erste Seite des Albums aufschlug, betrachtete sie die ineinandergeschlungenen Hälse der Reiher auf dem Etikett und dachte an die Teedose.
Die Dose war verschwunden.
Harriet hatte auf jedem Regal und auch überall sonst im Lehmhaus gesucht und sie nicht gefunden. Sie träumte, Joseph hätte sehr genau gewusst, was darin war, und sie verbrannt. Die Dose zu erwähnen wagte Harriet nicht. Irgendwie glaubte sie, die Teedose stehe immer noch irgendwo in dem Durcheinander von Töpfen und Konservendosen in der Küche, und aus irgendeinem Grund habe sie sie übersehen. In ihrer Vorstellung wurde die Dose unglaublich schwer. Wenn sie eines Tages plötzlich wieder auftauchen sollte, würde sie sie nicht heben können.
Sie spürte, wie ihr Lebensmut sank. Zum ersten Mal seit ihrem Entschluss, Joseph zu heiraten, dachte sie, sie hätte in England bleiben und weiter ihr Gouvernantenleben führen sollen – mit den Stiften und den Büchern, mit Kindern, die sie mögen lernen konnte, und in der Nähe ihres Vaters, der sie liebte. Einzig der Anblick der fernen Berge, ihre schiere Größe, ihre Schönheit und ihr Geheimnis verhinderten es, dass sie in tiefe Melancholie versank. Als der Frühling kam, versprach Harriet sich selbst, in die Berge zu ziehen – mit einem starken Pferd, falls sie bis dahin eines hätte, oder mit dem Esel oder sonst eben zu Fuß. Sie würde allein in die Berge gehen und dort ihre Kraft zur Fortführung des
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