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Die Farbe der Träume

Die Farbe der Träume

Titel: Die Farbe der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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Mädchen geküsst. Und manchmal hat sie das ganz verrückt gemacht, und sie haben mir zärtliche Namen gegeben: Willie-Süßer, Sefton-Will, du schöner Knabe …«
    Joseph streckte seine Hand aus und berührte Wills magere Schulter. Er öffnete den Mund und wollte Will sagen, er brauche seine »Dienste« nicht, er habe nicht deshalb Freundschaft mit ihm geschlossen, er werde Will, wenn er Gold gefunden hätte, etwas davon abgeben, weil sie gemeinsam gereist seien, und gemeinsam reisen sei besser als allein. Aber er war zu benommen von all dem, was er ertragen hatte, und dem, was, wie er wusste, gerade geschah, um diese Worte auszusprechen, um überhaupt irgendwelche Worte zu formulieren. Und so lag er nur da, berührte Will und blickte ihn an und begriff, dass Will ihn am nächsten Tag verlassen würde – er würde ihn verlassen, um mit einem anderen Mann anzufangen, der seine »Dienste« wünschte und gut dafür zahlen würde. Und er begriff, dass sein eigenes Geschenk, die Angelrute, nichts galt. Und die Einsamkeit, die ihn erwartete, erschien ihm unerträglich.
    Es verging wohl eine lange Zeit, in der sie beide weder sprachen noch sich bewegten, sondern einander nur im Dunkeln anschauten.
    Schließlich hörte Joseph sich sagen: »Dann küss mich wie ein Mädchen, Will. Küss mich zart wie ein Mädchen.«

E IN SAUBERES, ORDENTLICHES Z IMMER
I
    Die schweren Regen der ersten Februartage hatte die Erde schnell getrunken und wieder vergessen, denn mit dem heißen Wind war die Trockenheit auf die Canterbury-Hochebene zurückgekehrt.
    Pares Maoristamm sah einer Hungersnot entgegen. Die Menschen betrachteten ihre Kūmara-Felder, die gelb und kränklich aussahen, und sie beteten zu den Luftgeistern um Regen. Einige sahen die Geister in den Flammen des Sonnenuntergangs Rad schlagen, doch es erschienen immer noch keine Regenwolken am Himmel.
    Pare saß allein im Pā ihres Stammes. In diesen Winkel des Dorfs kam nur selten jemand. Sie blickte auf die staubige Erde und hörte das Wüten des Winds und wusste, dass sie die Schuld an der Dürre trug. Sie hatte die Götter der natürlichen Welt erzürnt. Und sie hörte ihren Zorn in den Bäumen, sah ihn in den trockenen Rissen der Ackerfurchen, spürte ihn in ihrem Magen und ihrem Herzen. Sie hatten ihr schon befohlen – jedenfalls hatte Pare das so verstanden –, nicht mehr zum Orchard-Haus zu gehen, und sie hatte getan, was man von ihr verlangte. Doch nun sah sie, dass es nicht genug war. Die Maorigötter schienen gemerkt zu haben, dass Pares Liebe zu Edwin Orchard stärker war als die zu ihrem eigenen Volk, und so beschlossen sie, Pare zu bestrafen. Um die Strafe für sie noch bitterer zu machen, ließen sie den ganzen Stamm mitleiden.
    Pare starrte ihre Beine an. Sie stellte fest, dass sie sehr viel dünner geworden waren. Es erschreckte sie, dass ihre alte Krankheit zurückgekehrt war. Ihr wurde bewusst, wie unstet, wie wandelbar die Welt war, sie begriff, dass keine Minute ihres Lebens der anderen glich. Und sie sah, wie sie immer schneller und schneller durch die Zeit gejagt wurde, dem sicheren Tod entgegen.
    Die Sonne ging unter, und Pare roch Feuer und gebratenes Fleisch, aber sie hatte keinen Appetit. Selbst hier an dieser geschützten Stelle des Dorfs entdeckte der Wind sie und blies ihr die Haare ins Gesicht. Sie streckte Tane, dem wütenden Gott des Waldes, die Arme entgegen und betete um Vergebung. Und sie überlegte, wie sie die Götter besänftigen könnte. In ihrem Kopf brannte ein Fieber, und ihre Gedanken verwirrten sich, als würden Insekten in ihrem Schädel umherschwirren oder als würde der Schädel selbst zu Staub werden. Still senkte sich die Dunkelheit über Pare, und sie regte sich nicht.
    Pare träumte, dass sie wieder am Ufer des Flusses stand, wo sie vor langer Zeit den taniwha gesehen hatte.
    Im Traum wallte das teebraune Wasser auf und schwappte ihr um die nackten Beine. Es war eisig, und sie spürte die Absicht des Wassers, sie in die Tiefe zu ziehen, zu den Pflanzen und den schwarzen Aalen. Doch sie wusste, dass es sie nicht ertränken wollte, Pare sollte nur in der Dunkelheit nach etwas suchen. Also ließ sie sich ganz nach unten bis zum Grund des kalten Flusses tragen, und mit den Händen erkundete sie den aus dem Flussbett hervorquellenden Schlick. Sie wusste nicht, nach was sie suchte, aber sie wusste, dass sie, obwohl ihre Lunge schmerzte und die Aale sich um ihre Arme schlangen, dort bleiben musste, bis sie es gefunden hatte.
    Dann

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