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Die Farbe der Träume

Die Farbe der Träume

Titel: Die Farbe der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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den Hoffnungen zu tun hatte, die sie in Josephs Expedition setzte. Träumte ihre Schwiegermutter womöglich davon, dass ihrer aller Leben sich ändern würde, wenn ihr Sohn als reicher Mann zurückkehrte? Denn selbst die Tatsache, dass das Lehmhaus langsam zerfiel, schien sie nicht besonders zu betrüben. Vielleicht glaubte die arme Lilian so fest daran, dass irgendwann ein neues Haus gebaut würde – eines, das eher dem prächtigen Anwesen der Orchards ähnelte –, dass sie nichts dagegen hatte, in der Zwischenzeit die Wände der alten Lehmhütte provisorisch zu kleben. Denn sie würden ja nicht mehr lange darin wohnen müssen. Noch einen Winter? Oder, schlimmstenfalls, einen Winter und einen Frühling? Harriet vermutete, dass Lilian sich mit Visionen von blank polierten Holzdielen, Marmorkaminen und Teppichen aus Chengchow tröstete. Und wie käme sie, Harriet, dazu anzuzweifeln, dass Lilian all diese Dinge tatsächlich eines Tages besitzen würde, sofern Joseph noch lebte und Gold schürfte?
    Harriet zog es vor, nicht an Joseph zu denken.
    Sie hatte festgestellt, dass ihr fast jedes Mal, wenn sie an ihn dachte, irgendwie unbehaglich zumute wurde. Obwohl sie schwerer arbeiten musste, fand sie das Leben ohne ihn viel einfacher. Im Bett ließ sie Lady auf Josephs Seite liegen. Und in ihren Träumen wurden Joseph und der verhasste Mr Melchior Gable ununterscheidbar.
    Aber sie grübelte auch über ihr Leben nach. Sie hoffte, dass doch noch irgendetwas jenseits der täglichen Plackerei auf sie wartete. Besser, wir wissen nicht , schrieb sie an ihren Vater, was hinter dem nächsten Berg liegt .
    D enn die Antwort könnte lauten: »Nichts«. Und ich gestehe, dass ich mich nun, da ich die halbe Welt umfahren habe, nicht mit diesem »Nichts« zufriedengeben würde. Ich schaue immer noch gern zu den Bergen hinauf. Sie sind so schön. Ich wünschte, ich könnte Dir ein Bild von ihnen malen. Und sie enthalten ein Geheimnis. Das Gefühl habe ich jedenfalls. Und ich frage mich: Ist ihr Geheimnis das Geheimnis meines Lebens?
    Sie ritt jetzt jeden Tag aus. Für sie war Billy das liebenswürdigste Pferd, das ihr jemals begegnet war. Sein Galopp war scheu und ernst wie der eines Ponys, aber sein Herz und seine Lunge waren kräftig, und er schien nie müde zu werden. Harriet hätte ihn gern mit dem Gras einer grünen Wiese belohnt; als Ersatz ließ sie ihn wenigstens am Teich grasen, wo die Tussockbüschel noch feucht waren, und fütterte ihn auch mit Karotten aus ihrem Gemüsegarten. Sie redete mit ihm, wenn sie ihn striegelte, und manchmal drehte er sich um und lehnte den Kopf an ihren Rücken. Sie erzählte ihm, dass es mit jedem Tag mühsamer wurde, alle Tiere am Leben zu halten. Und trotzdem wusste sie, dass sie nicht unglücklich war. Auch das erzählte sie dem Pferd. Sie erklärte ihm, sie sei so glücklich wie schon sehr lange nicht mehr.
    Die ersten Regenfälle kamen Anfang März.
    Zuerst regnete es nur leicht, fast unsichtbar – englischer Regen. Dann drehte der Wind. Er kam jetzt direkt aus Süden und brachte sturzbachartige, eisige Regengüsse aus der Antarktis.
    »Boshaft« nannte Lilian ihn, diesen Regen, der den Frauen mit aller Kraft ins Gesicht peitschte, während sie sich nach draußen kämpften, um die Hühner zu füttern und Eier für ihr Abendessen einzusammeln. Und in seiner Bosheit schien der Regen beschlossen zu haben, das, was die Dürre begonnen hatte, vollenden zu wollen. Die Lehmwände, die in der Hitze so bröselig geworden waren, wurden jetzt zu Matsch. Löcher erschienenneben dem steinernen Kamin. Und kaum hatten die Frauen die Löcher gestopft, mit Lumpen oder Papier oder Holz oder was sie sonst gerade zur Hand hatten, da waren sie schon wieder da, und der Regen kam durch und lief die Küchenwand hinunter.
    Harriet und Lilian überlegten, was Joseph wohl gemacht hätte, aber beide waren sich einig, dass sie es nicht wussten. Joseph war noch nie ein Mann gewesen, der sich raffinierte Lösungen für Probleme ausdachte.
    »Roderick dagegen, der war so einer«, behauptete Lilian entschieden. »Roderick war ein regelrechter Erfinder, weil sein Verstand wissenschaftlich arbeitete. Das hat Joseph leider nicht geerbt, jedenfalls, soweit ich sehe. Joseph verlässt sich zu oft auf die Vorstellungen anderer.«
    »Und was hätte Roderick in unserer augenblicklichen Notlage erfunden?«, fragte Harriet. Lilian erwiderte, sie werde darüber nachdenken, meinte aber, sie sei sicher, der arme liebe Roderick werde

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