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Die Farbe der Träume

Die Farbe der Träume

Titel: Die Farbe der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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schwingendem Euter und sanfter Panik in den Augen hinterhertrottete. Dann kehrte das Fuhrwerk zurück, und alle unbeschädigten Möbel, die heil gebliebenen Gläser und Porzellansachen und sämtliche Küchenutensilien wurden aufgeladen, sogar die Wäschemangel und das Butterfass. Obendrauf kamen Josephs Kleidungsstücke aus seiner Truhe, die Angeln und die Fliegenschachtel, seine Gedichtbände und das Werkzeug, das er zurückgelassen hatte, und außerdem, in einem zugebundenen Sack, Lilians Hauben und, in einem Weidenkorb, ihre Stiefel.
    Nur der Herd blieb. Der Fuhrmann fluchte gottserbärmlich bei dem Ansinnen, ihn hochzuheben. »Und außerdem«, erklärte er Harriet und spuckte noch mehr Tabak ins staubige Gras, »führt das Ofenrohr in den steinernen Schornstein, Miss. Das wieder rauszukriegen, würde mehr Zeit brauchen, als ich für Sie übrig habe.«
    Harriet sah, dass es keinen Zweck hatte, zu diskutieren. Also standen der Herd und der steinerne Kamin ganz allein auf der Hochebene, und bei dem Gedanken, ein Fremder könnte vorbeikommen, den Herd anzünden und unter freiem Himmel einen Kuchen backen, musste sie lächeln.
    Schließlich brach der vollbeladene Wagen zu seiner langsamen Rückfahrt nach Christchurch auf. Sein Ziel war ein Gebäude, das Bloomingtons Lagerhaus hieß und gar nicht weit vonMrs Dinsdales Haus lag. Der Angestellte von Bloomington, ein Mr O’Mally, hatte Harriet als Erstes erklärt, dass die Lagerkosten im Moment sehr hoch seien. »Was wir nämlich in Neuseeland haben«, hatte er gesagt, »ist eine krankhafte Aufbruchsstimmung. Sie sagen das Wort ›Gold‹, und die Menschen lassen einfach ihre liebsten Dinge zurück.«
    Kurz bevor der Wagen abfuhr, hatte Harriet das, was von den Kattunwänden übrig geblieben war, losgerissen und die zerfetzten Kattunbahnen zusammen mit dem Fuhrmann wie eine Plane über die Ladung gespannt, dann setzte sich der Wagen endlich in Bewegung, und Harriet blieb allein zurück. Der Wind frischte wieder auf und blies ihr das kurze Haar in die Augen und bauschte ihre Röcke zwischen den trockenen Grasbüscheln.
    Sie blickte dem langsam dahinschwankenden Wagen hinterher, bis er nicht mehr zu sehen war, und dann drehte sie sich um und ging zu dem Esel, der, immer noch von Husten geplagt, auf der Weide wartete. Harriet hatte in Rangiora Geld für die Kuh, die Schweine und die Hühner bekommen, aber sie wusste, dass niemand den Esel kaufen würde, außer um ihn trotz seines zähen Fleischs zu schlachten. Und so war sie zu einem Entschluss gekommen: Sie würde ihn ins Paradies bringen.
    Sie riss mithilfe eines Hammers den Blechzaun um den Gemüsegarten nieder und räumte die einzelnen Teile aus dem Weg, dann führte sie den Esel dorthin, wo er all das verschiedene saftige Grün riechen konnte. Sie ließ ihn unangepflockt, damit er am Bach trinken und sich den ganzen Tag lang gütlich tun konnte – am Karottengrün, an den Bohnenstängeln, am blassen Winterkohl und an den Blättern der Rüben. Sie hätte gern gewusst, ob er wohl, derart allein gelassen in der leeren Landschaft, so etwas wie Einsamkeit spüren und beginnen würde, zum Himmel zu iahen. Trotzdem fand sie, dass es so am besten für ihn war, auch wenn sie sich sagte, dass das »Beste« meistens noch verbessert werden konnte. Ihr gefiel jedenfalls die Vorstellung, dass das Gemüse, das sie in ihrem Garten gezogen hatte, nachall der Arbeit nicht einfach verfaulte. Sie streichelte dem Esel den Nacken und spürte, wie er zitterte, und sah, wie seine Ohren zuckten, und dann überließ sie ihn ihrem Garten und sich selbst – er würde den Weg in den Tod in seinem eigenen Tempo beschreiten. Sie blickte nicht zurück.
    Harriet verließ das Lehmhaus nicht nur, weil so wenig von ihm übrig geblieben war, sondern auch, weil sie die Teedose aus China hinter der Kattunwand gefunden hatte.
    Zuerst hatte sie geglaubt, die Dose sei leer. Dann war sie mit dem Finger auf dem Boden entlanggefahren, hatte die scharfen, dunklen Ecken abgetastet und dabei an das gedacht, was sie ihr damals anvertraut hatte. Was sie jetzt dort fand, war ein winziger Goldpartikel.
    Als Harriet dieses Gold sah, trat an die Stelle des Mitleids, das sie nach Lilians Tod für Joseph empfunden hatte, Zorn. Zorn, so kalt wie ein Dolch aus Eis. Sie hätte diesen Dolch am liebsten aus sich herausgezogen und ihrem Ehemann in den Hals gestoßen. Sie hatte das Gefühl, Joseph Blackstone habe ihr das Leben gestohlen.
    Harriet hatte ein paar Lebensmittel und

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