Die Farbe des Himmels
fügte seinen Lieblingssatz hinzu: »Genau kann ich das erst nach der Obduktion sagen.«
Thea stand schweigend neben der Leiche und sah in die leeren Augen, die sie noch vor wenigen Tagen so hasserfüllt angefunkelt hatten. Dann wandte sie den Blick ab und drehte sich zu Kümmerle um, der eine Schublade der Anrichte untersuchte.
»Ja, da schau her«, rief er triumphierend und hielt eine kleine Schachtel hoch. »7,62er Patronen. Passend zur Schusswaffe.«
»Dann können wir davon ausgehen, dass die Pistole Antonia Linder gehörte«, sagte Messmer.
»Ich frage mich, warum sie eine Waffe besaß«, sagte Thea mehr zu sich selbst. Die Situation schien ihr so unwirklich, geradezu grotesk, dass sie glaubte, das alles schon mal in einem Film gesehen zu haben.
»Vielleicht ein Erbstück«, sagte Messmer. »Die Eltern sind Anfang der Siebziger bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Das hat mir eine Nachbarin erzählt. Sie hatte außer der Schwester in Italien offenbar keine näheren Verwandten.« Er streifte die Plastikhandschuhe über und reichte Thea auch ein Paar. »Fangen wir mit dem Abkleben an.«
Thea stopfte ihr Haar unter die Kapuze und ließ sich von Geiger eine Rolle Klebeband geben.
Sie arbeiteten konzentriert, und eine Weile sagte niemand ein Wort.
»Ich hab gehört, ihr hattet einen Tatverdächtigen im Gewahrsam?«, brach Professor Krach das Schweigen.
»Ja, er war sogar für einen Kurzurlaub in U-Haft. Aber wir mussten ihn wieder laufen lassen. Er hat allerdings eine Verbindung zu Hauser eingeräumt. Der hatte ihm bei Spielschulden unter die Arme gegriffen«, antwortete Messmer.
»Immer wieder der schnöde Mammon. Man sieht bei der täglichen Arbeit, wo das hinführt. Nein, früher im Osten hätte es das nicht gegeben. Da gab es keinen so drastischen Unterschied zwischen Arm und Reich.«
Thea lächelte. Inzwischen unterschied sich Krach erheblich vom Großteil der Menschen in den neuen Ländern. Der dicke BMW, der draußen parkte, hätte bei der Zunft der Trabifahrer sicher Wellen des Neides ausgelöst, dennoch wurde er nie müde, die Vorzüge des Sozialismus zu preisen. Doch der Professor war ihr sympathisch. Sie mochte Menschen, die noch Ideale hatten, so unrealistisch sie auch waren.
Die Wanduhr schlug eins, und Thea fuhr aus ihren Gedanken hoch.
»Für heut hab ich genug geschafft«, stöhnte Geiger, reckte sich und verstaute die Proben in der Tasche. »Lasst euch mit der nächsten Leiche ein bisschen mehr Zeit. Sonst komm ich gar nicht nach.«
»Gib uns Bescheid, wenn wir die nächste finden dürfen«, grinste Messmer. »Bis dahin rücken wir einfach nicht mehr aus.«
»Gute Idee.« Ulrich Moll packte seine Fotoausrüstung ein und klappte den Koffer zu.
Thea rieb sich die Augen. Sie begann vor Übermüdung schon doppelt zu sehen.
»Ich glaube, ich gehe auch nach Hause.« Kümmerle gähnte herzhaft. »Meine Frau hat sicher schon überall Fotos von mir aufgestellt, damit sie nicht vergisst, wie ich aussehe.«
»Wunschgedanken, was?«, frotzelte Messmer und sah Thea Beifall heischend an.
»Wieso? Er sieht doch gut aus.«
»Das hat seit Jahren keine Frau mehr zu mir gesagt.« Kümmerle strich sich schwungvoll die Haartolle aus der Stirn, die sofort wieder zurückfiel, und schob seine Brille zurecht.
»Das wird seine Gründe haben. Trotzdem, gute Nacht.« Messmer winkte ihm zu. »Wir bleiben hier und warten den Leichentransport ab. Die müssten gleich kommen.«
Krach packte ebenfalls zusammen. »Nur gut, dass ich heute in Sillenbuch übernachte. Vielleicht ist noch etwas vom Wildschwein übrig geblieben.«
Messmer zog den Papieranzug aus und knüllte ihn zusammen. »Wir lassen sie ins Robert-Bosch-Krankenhaus bringen. Können Sie morgen früh obduzieren?«
»Bleibt mir wohl nichts Walter Ulbricht«, versuchte Krach zu scherzen. »Aber lasst mich erst mal ausschlafen. Sagen wir, so gegen zehn?« Er wartete Messmers Nicken ab, und schon war er hinter Kümmerle zur Tür hinaus.
»Wir gehen dann auch«, verabschiedeten sich Geiger und Moll und schleppten ihre Koffer zum Auto.
Was habe ich nur für einen makabren Job, dachte Thea, als sie mit Messmer auf das Eintreffen des Bestattungsinstitutes wartete. Sie saßen nebeneinander auf der Couch. Thea döste vor sich hin, während Messmer einen Schwarzweiß-Krimi von Edgar Wallace im Fernsehen anschaute. Der Apparat war so leise gestellt, dass Thea kaum die Dialoge verstand. Sie dachte an Antonia Linder, die sie noch vor drei Tagen kühl
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