Die Farbe des Himmels
und abweisend behandelt und abgestritten hatte, mit Wolf Hauser ein Verhältnis gehabt zu haben. Thea fragte sich, warum sie es um keinen Preis hatte zugeben wollen. Es musste einen plausiblen Grund dafür gegeben haben, doch den würden sie nun nie mehr erfahren.
»Sie muss ihn sehr geliebt haben«, sagte sie plötzlich laut.
»Wer? Wen?« Messmer zuckte zusammen. »Wer liebt wen?«
»Ich meine, Antonia Linder muss Wolf Hauser geliebt haben.«
»Sicher. Aber sie hat ihn auch gehasst.«
»Wieso?«
»Das tut ihr Frauen doch immer. Ihr liebt und hasst gleichzeitig. Weiß ich aus eigener Erfahrung.«
»Das ist mir zu pauschal«, sagte Thea.
»Glaub’s mir. Wir Männer sind da ganz anders.«
»Ah ja?« Thea sah ihn interessiert an.
»Weil wir nämlich viel zu sehr darauf getrimmt sind, euch alles recht zu machen.«
»Ach, ihr auch? Ist mir noch gar nicht aufgefallen.«
»Doch, so ist es. Aber irgendwann wachen wir auf, und – puff – die Seifenblase platzt, der Hormonspiegel fällt wieder auf Normallevel. Und dann kommt der Alltag. Der Job, die Kinder, die Schwiegereltern. Na ja, das halten viele eben nicht durch.«
»Verstehe.« Thea schloss die Augen und rutschte ein klein wenig nach unten.
»Da bin ich aber froh. Bist du etwa müde?«
»Nö, ich tu nur so.« Thea unterdrückte ein Gähnen. Es könnte fast romantisch sein, dachte sie. Wenn nur diese Leiche da auf dem Teppich nicht wäre. Allmählich fing sie an zu riechen. In diesem Moment piepste Messmers Handy, und Thea fuhr hoch.
»Wo bleibt ihr denn? Ihr wurdet schon vor Stunden benachrichtigt, oder? Was? Auch das noch. Ja, ja, da kann man nichts machen. Verstehe. Ich … na klar warten wir, aber beeilt euch, wir wollen auch Feierabend machen.« Er drückte auf den Knopf und steckte das Telefon in seine Brusttasche. »Mist!«
»Was ist?« Thea konnte ihre Augen kaum noch offen halten.
»Das war Hermann vom Bestattungsdienst. Die sind nur ein paar Straßen von hier entfernt.«
»Lass mich raten. Sie haben eine Reifenpanne.«
»Ja, an der Endhaltestelle der Zahnradbahn.«
»Toll. Und wann kommen sie?« Thea sehnte sich nach ihrem Bett.
»In zwanzig Minuten. Sie wechseln gerade das Rad aus.«
»So lange halte ich noch durch.« Sie setzte sich gerade hin und sah auf das Pendel der Wanduhr, die zehn Minuten nach zwei anzeigte. Eine angenehme Schwere breitete sich in ihrem Körper aus und unwillkürlich rutschte sie wieder ein Stückchen nach unten. Sie merkte nicht, wie ihre Augen zufielen und sie an Messmers Schulter gelehnt in einen kurzen, unruhigen Schlaf fiel. Sie schreckte erst hoch, als die zwei Männer vom Bestattungsdienst laut polternd die Bahre über die Türschwelle schoben. Sie sahen müde aus und hatten ölverschmierte Finger.
Thea konnte sich nicht gleich orientieren, starrte die beiden an, als wären ihr Geister erschienen, und nahm sich vor, in ihrem nächsten Leben Verkäuferin zu werden.
Es war halb vier Uhr morgens, als Messmer sie nach Hause brachte. Während der Fahrt hing jeder seinen Gedanken nach. Thea beobachtete, wie sich der Horizont allmählich von Schwarz nach Grau und dann ins Violette verfärbte.
»Es wird bald hell«, sagte sie und gähnte. »Jetzt haben wir beinahe zwanzig Stunden gearbeitet. Ich werde noch zum Zombie in diesem Job!«
»Du musst nachher nicht zur Obduktion kommen, wenn du nicht magst. Schlaf dich lieber richtig aus.«
Thea schaute Messmer aus dem Augenwinkel an. Manchmal konnte er ja ein richtig netter Mensch sein.
Wenige Minuten später lenkte er den Dienstwagen auf einen Parkplatz in der Nähe von Theas Wohnung.
»Du brauchst mich nicht bis zur Tür zu bringen«, sagte Thea schnell, als sie merkte, dass Messmer auch ausstieg. Eigentlich wollte sie jetzt lieber allein sein.
»Ich möchte doch nicht riskieren, dass du auf den letzten Metern noch überfallen wirst. Eine Leiche für heute Nacht ist genug.«
Es wurde jetzt recht schnell hell. Sie gingen schweigend nebeneinander durch die Grünanlage vor Theas Haus. Das Gras war feucht vom Morgentau.
Nacktschnecken waren unterwegs. Thea achtete darauf, keine von ihnen zu zertreten. Seit ihrer Kindheit fühlte sie eine seltsame Verbundenheit mit diesen Tieren. Kein Haus, kein Heim, keine Rückzugsmöglichkeit – genau wie sie. Im Kinderheim hatte sie sogar mal einen gleichaltrigen Jungen verprügelt, der Nacktschnecken in einem Erdloch sammelte und einen großen Stein darauf warf.
»Bist du Tierschützerin, oder magst du das Zeug
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