Die Farbe des Todes: Ein Veronica-Sloan-Thriller (German Edition)
zur Gesichtserkennung ein paar alte Fotos von mir ausfindig gemacht, die ich selbst noch nie gesehen hatte.«
»Ach so. Toll«, sagte Ronnie, die das Programm kannte. Die Polizei verwendete es schon eine ganze Weile, und inzwischen war es allgemein beliebt. Man scannte einfach ein Foto von einem Gesicht ein, lud es als Datei im jpg-Format in das Suchfeld hoch, und schon durchstöberte die Suchmaschine das Internet nach Gesichtern mit den passenden Merkmalen. Dabei wurde ein High-Tech-Algorithmus verwendet, der ungefähr siebenundzwanzig Punkte auf den Gesichtern abglich, und die Ergebnisse waren normalerweise erstaunlich treffsicher.
Ronnie hatte gehört, dass es deswegen schon einige Prozesse gegeben hatte. Manchen Leuten hatte es nicht gepasst, dass ihr Kasinobesuch aufgeflogen war, obwohl sie doch eigentlich krankgeschrieben im Bett hätten liegen sollen, oder dass sie mit einem Liebhaber ertappt worden waren, wo doch alle geglaubt hatten, sie seien bei einem Wohltätigkeitsessen gewesen.
Sie hatte auch schon überlegt, das Programm zu verwenden und vielleicht Fotos von ihren Brüdern einzugeben. Möglicherweise würde sie damit noch Schätze aus der Collegezeit ausgraben, vielleicht stolperte sie über ein ihr unbekanntes Foto, das ihr vorgaukeln konnte, dass die beiden irgendwo da draußen in der Welt noch gesund und lebendig waren – und wenn auch nur für ein paar Minuten.
Doch sie hatte es nicht getan. Dabei wusste sie nicht genau, was schmerzhafter gewesen wäre, gar nichts zu finden oder auf eine Goldmine zu stoßen.
»Also, äh, könnte ich vielleicht eine Liste der Mitarbeiter bekommen, die Leanne Carr gekannt haben und mit ihr zu tun hatten?«, fragte Daniels gerade.
Wilders zögerte kurz, als sei er unsicher, ob er bei Ronnie bleiben oder zu Daniels zurückkehren solle. »Ja, selbstverständlich«, murmelte er.
Er ließ Ronnie mit seinem Erinnerungsbuch in der Hand neben der Kredenz stehen, kehrte hinter seinen Schreibtisch zurück und holte einen Bogen jungfräulich weißes Papier aus einer Schublade. Beim Schreiben schwafelte er drauflos, wie wahnsinnig gern alle Leanne gehabt hatten.
Ronnie heuchelte Interesse, obwohl sie jetzt lieber gehen wollte, um noch mit ein paar anderen Leuten zu sprechen und dann ins Weiße Haus zurückzukehren. Während sie wartete, blätterte sie zerstreut in dem großen Fotobuch.
Gerade, als sie es wieder auf die Kredenz legen wollte, sprang ihr eine Doppelseite ins Auge. Anders als auf den übrigen Seiten war das Layout hier nicht symmetrisch und perfekt. Nein, die Seiten wirkten irgendwie … abgeschnitten oder schlecht bearbeitet. Auf der linken Seite befanden sich einige Fotos, darunter eines von einer großen Gruppe, das abends an einem Strand aufgenommen worden war. Oder nein, nur die Hälfte des Fotos war zu sehen. Da Ronnie das Layout der anderen Doppelseiten gesehen hatte, erwartete sie auf der rechten Seite die andere Hälfte des Strandfotos. Stattdessen jedoch fanden sich dort zwei vollkommen andere Bilder.
Interessant. War es möglich, dass Wilders die andere Seite herausgerissen hatte?
Ihr misstrauischer Verstand sprang sofort auf die Schiene »Er hat was zu verbergen«. Vielleicht einen kompromittierenden Schnappschuss von ihm selbst und Leanne auf einer Geschäftsreise?
Sie drehte sich ein wenig, sodass sie mit dem Rücken zu dem Mann am Schreibtisch stand, und hob das Buch dichter vor die Augen, um das Bild im Gedächtnis abzuspeichern. Es dauerte nicht lange, die Theorie vom fotografischen Beweis für eine Liebesaffäre zu widerlegen. Frisuren und Kleidung und auch Wilders, der leicht zu erkennen, aber deutlich jünger war, sahen aus, als sei diese halbe Aufnahme in den achtziger oder neunziger Jahren gemacht worden. Ronnie fand keinen unmittelbaren Grund, weshalb er diese eine Seite hätte herausreißen sollen. Es sei denn, eine frühere Freundin war mit auf dem Foto gewesen, und seine Frau war eifersüchtig geworden? Oder aber Leanne beherrschte Photoshop einfach nicht so gut, wie Ronnie gedacht hatte.
»So, ich glaube, wir haben Ihnen genug Zeit gestohlen«, sagte Daniels.
Ronnie schloss das Buch und legte es auf die Kredenz zurück. »Vielen Dank für Ihre Unterstützung.«
»Gern geschehen«, erwiderte Wilders, während er hinter seinem Schreibtisch hervorkam und sie zur Tür brachte.
Daniels schüttelte ihm die Hand. »Wenn wir noch mal mit Ihnen sprechen müssen … «
»Dann dürfen Sie selbstverständlich anrufen und einen Termin
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