Die Farbe des Todes: Ein Veronica-Sloan-Thriller (German Edition)
ansehen. Dunkle Schuhe. Schwarze Schuhe. Alte Schuhe. Abgestoßene Schuhe. Vielleicht Stiefel? Nicht zu erkennen. Von Hosenbeinen bedeckt. Dunkle Hose. Schwarze Hose. Blutbespritzte Hose. Lang. Hängt über Schuhen.
Augen wandern. Die Beine hinauf. Dicke Beine. Lang. Männerbeine. Kräftige Beine. Blutbespritzte Beine.
Höher. Schwarzes Hemd. Lang. Hängt über die Hose. Locker. Keine besonderen Merkmale. Fügt sich ein. Dunkel im Dunkeln. Schwarz in der Finsternis.
Hände. So kraftvolle Hände. Schwarze Handschuhe. Leder. Weich. Nass. Tropfnass. Rote Tropfen. Blutstropfen fallen.
Ihr Blut. Leben rinnt fort. Tropfen für Tropfen.
Höher. Schau höher. Das Gesicht. Das Gesicht. Das Gesicht.
Das Licht! Oh Gott, das Licht. Tut weh.
Augen zu. Das Licht sticht immer noch. Blitzt. Blitzlicht? Kamera? Schmerz. Schmerz. Entsetzen. Schmerz.
Wieder offen. Er kniet. Gesicht unsichtbar. Das verdammte Licht!
Aber Hände. Hände sind zu sehen. Hände halten etwas.
Eine Säge. Gott helfe mir, eine Säge. Er wird eine Säge benutzen.
Wird schneiden und sägen und ritzen und aufschlitzen und zerreißen und zerbrechen und zerstückeln und zerhacken und zerfleischen und wehtun und wehtun und wehtun und wehtun und wehtun.
Tränen. Blut. Kopf bewegen. Hin. Her. Und hin. Und her.
Nein. Nein. Nein. Bitte nicht. Nein. Bitte. Bitte.
Gott. Hilf mir. Lass mich sterben. Lass es zu Ende sein. Bitte.
Augen schließen.
Dunkel. Dunkel. Dunkel. Dunkel. Dunkel. Dunkel. Dunkel. Dunkel.
Nichts als Dunkelheit.
Die Augen öffnen sich nie wieder.
*
Das System erkannte, dass die Diashow vorbei war, und sobald das letzte 3-D-Bild von der Projektionsmatte verschwunden war, wurde das Licht im Raum wieder heller.
Lange saß Ronnie einfach auf ihrem Drehsessel und atmete ein – langsam. Und atmete aus – langsam. Ermahnte ihr Herz, weiter zu schlagen. Sagte ihren Lungen, sie sollten an alle Körperzellen Sauerstoff schicken. Befahl ihren Tränengängen, sich nicht zu öffnen. Versuchte, sich zu erinnern, dass sie lebte, dass das Entsetzen nicht ihr eigenes gewesen war, dass die Gedanken nicht ihre waren, dass sie die Angst, den Schmerz, die Qualen, den Kummer, den ganzen Albtraum nicht selbst erlebt hatte.
Aber dennoch hatte es sich so angefühlt. Wie ihr eigenes Sterben. Sie hatte sich in den Bildern verloren, hatte Gedanken, Gefühle, flehende Bitten nachempfunden, ohne genau zu wissen, ob sie sich das alles einbildete oder ob sie sich in die Sterbende hineinversetzt hatte oder ob sie irgendwie telepathisch empfangen hatte, was Leanne gedacht, gespürt und gesagt hatte.
Die Finger. Die blutige Hand. Die Höllenqualen, die Anstrengung, die es gekostet haben musste, sie hochzuhalten.
Ronnie konnte es sich nicht vorstellen. Vermochte sich nicht auszumalen, welche anderen Körperteile der Mörder seinem Opfer bis dahin vielleicht schon abgeschnitten hatte. Hatte Leanne Carr ihre Füße noch gehabt? Ihre Ohren? Ihre Brüste?
Wie konnte ein Mensch einem anderen Menschen so etwas antun, ihn so verletzen, ohne ein Ende zu machen und ihn durch den Tod zu erlösen? Der Verdacht, der schon beim forensischen Bericht in Ronnie aufgekeimt war, hatte sich bestätigt. Dieses kranke Ungeheuer hatte aus Leannes Sterben ein Festmahl gemacht und jeden Bissen genossen. Das stand außer Zweifel, denn er hatte keinen anderen Grund gehabt, sein Opfer noch so lange am Leben zu erhalten.
Auch Jeremy war still. Er saß wie erstarrt auf seinem Bürosessel, nur in seinem Unterkiefer zuckte ein Muskel. Genau wie sie selbst versuchte er zu verarbeiten, was sie gerade gesehen hatten. Als Ronnie ihm einen raschen Blick zuwarf, bemerkte sie, dass seine Lippen sich bewegten, als würde er ganz leise etwas vor sich hinmurmeln. Sie beugte sich näher zu ihm und hörte, dass er Zahlen aufsagte. Er zählte rückwärts, neunundzwanzig, achtundzwanzig und weiter.
Bis er bei null ankam. Erst dann sprach er.
»Sieht aus, als hätte er allein gearbeitet. Jedenfalls zum Schluss.«
Nun wurde Ronnie klar, dass er von hundert rückwärts gezählt hatte, um seine Gefühle in den Griff zu kriegen. Sie nahm sich vor, diesen Trick auch irgendwann mal auszuprobieren. Jeremys Tonfall wirkte ruhig, vernünftig, schien allerdings überhaupt nicht zu dem hellen Glitzern in seinen blauen Augen zu passen. Anscheinend waren sie während der Diashow nass geworden.
»Außerdem ist er groß«, fuhr er fort. »Es war zwar nicht viel Hintergrund zu sehen, um das genau einzuschätzen, aber
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