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Die Farbe Des Zaubers

Die Farbe Des Zaubers

Titel: Die Farbe Des Zaubers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Asprin
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brachte Tyr an einen dunklen Ort, der nicht der Mittelpunkt der Welt war, und nachdem sie dort waren, war der Mann unruhig, hob sie nicht mehr auf den Arm und ließ sie auch nicht ins Freie. Tyr wurde sehr besorgt. Ihre Welt brach zusammen.
    Dann fing der Mann an, nach Angst zu riechen — mehr als sonst. Er rannte hinaus und verließ sie, und ihre Welt löste sich ganz auf. Tyr schrie, ohne es zu wissen, und kratzte an dem harten Ding, das manchmal ein Loch in der Wand war. Doch so sehr sie auch kratzte und scharrte, es wollte nicht zum Loch werden. Da erinnerte sie sich, daß es noch ein Loch gab, hoch oben. Der Mann war dort gewesen. In ihrer Verwirrung, nahe zu sein, wo er gewesen war, sprang Tyr auf Dinge, von denen sie nicht wußte, daß es Stuhl und Tisch waren, kletterte auf das Fensterbrett, saß zitternd darauf und stupste den Laden auf.
    Sie sah den Mann. Er hatte etwas über die Schulter geschlungen und torkelte über die Straße. Feuer- und Blutgeruch stieg ihr von unten in die Nase. Sie zählte auf ihre Weise alles zusammen - der Mann, der Geruch und das Fleisch da unten —, und ihr wurde bewußt, daß er ihr doch Futter bringen würde. Aufgeregt, begann sie zu kläffen.
    Da kamen Pferde auf die große Gestalt zugerannt. Tyrs Gefühle gegenüber Pferden waren gemischt. Pferde traten nach einem. Aber einmal hatte ein Pferd zu treten aufgehört, und der Mann hatte ihr etwas davon gegeben und es war sehr gut gewesen. Noch mehr Futter? dachte Tyr, soweit sie je überhaupt etwas dachte. Doch die Pferde hielten nicht an, als sie die große Gestalt und das Fleisch erreichten. Einen Moment konnte sie nicht sehen, wo der Mann war. Dann waren die Pferde weiter, und Tyr schnüffelte. Sie fand den Geruch der großen Form, doch zu ihrem Entsetzen geschah etwas damit, was sie noch nie zuvor gewittert hatte. Der Geruch kühlte ab. Er wurde dünner und verschwand und verwandelte sich in den von Fleisch. Und die Anwesenheit, das Etwas, das die Welt lebendig machte, verschwand ...
    Wenn das Universum vor einem vernichtet wird, hat man wahrhaftig Grund zu trauern. Tyr hatte keine Ahnung, was Trauer war, aber sie trauerte. Am ganzen Leib zitternd stand sie auf dem Fensterbrett und heulte leidvoll. Und als die Pferde zu nahe kamen und die Wesen darauf auf sie deuteten, übermannte die Panik sie und sie fiel aus dem Fenster, rollte holpernd über das Giebeldach und fiel hinunter. Der Schmerz war ihr gleichgültig. Wer zählte nach dem Zusammenbruch der Welt denn noch Verletzungen? In einem Haufen Müll plagte sich Tyr auf die Beine. Sie hinkte, aber sie bemerkte es nicht. Sie floh durch die dreckige Straße, machte so gut es ging einen Bogen um die brennende Barrikade, ja raste sogar vorbei an dem zerschmettertem Fleisch, das die große Form gewesen war. Sie rannte und heulte eine lange Zeit ihr Entsetzen und ihre Trauer hinaus. Endlich fand sie zumindest einen vertrauten Geruch — einen Abfallhaufen. In verzweifeltem Verlangen nach Vertrautem buddelte sie sich halb in die Abfälle, doch das brachte ihr keinen Trost. Mit schmerzenden Pfoten, ja sogar zu elend, durch die vielversprechenden Knochen und Speckschwarten zu wühlen, auf denen sie lag, winselte Tyr stundenlang in tiefster Qual. Schließlich zwang die Erschöpfung sie, immer noch winselnd, in einen unruhigen Schlaf. Bald würde die Sonne aufgehen, doch düster, soweit es Tyr betraf. Freude war für immer aus ihrem Leben geschieden. Die große Gestalt war Fleisch, und die Anwesenheit war verschwunden.
    Als der Schlaf sie übermannte, hatte Tyr etwas, das einem echten Gedanken näher als alles zuvor kam: sie wünschte sich, auch sie wäre Fleisch.
    Wie die meisten anderen, zogen es auch Freistatts Götter vor, in der Zeitlosigkeit zu leben, die alle vergängliche Zeit und allen Raum einschließt und darin liegt. Diese Zeitlosigkeit läßt sich unmöglich vorstellen — selbst die Götter der Wissenschaft schütteln den Kopf über ihre Beschaffenheit — und ist schwierig zu beschreiben, vor allem, sie Sterblichen zu beschreiben, für die Beschreibung selbst bereits mit Zeit verbunden ist.
    Vor allem an überwältigendes Licht erinnern sich die meisten Sterblichen, die im Traum oder in Visionen diese Reiche besuchen. Die beneidenswerten Toten, die dort aufgenommen werden, sehen die Dinge 43
    aus einer anderen Sicht. Ebenso wie die Götter. An jenem Ort, wo es keine Zeit gibt und der Raum deshalb unendlich formbar ist, errichten sie ihre strahlenden Paläste und

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