Die Farbe Des Zaubers
denen sie mit nur geringem Erfolg nachgeahmt worden waren. Offenbar hatte es sie besonders ergrimmt, daß Hunde in der Kaserne gehalten wurden. Das verstand Harran nicht. Welche Probleme hatte Vashanka mit Hunden? War er etwa einmal von einem gebissen worden? Jedenfalls hatte Harran die kleine braune Tyr mitgenommen, als er in eine Dachstube im Labyrinth geflohen war, um dem Gemetzel in der Kaserne zu entgehen.
Sie bellte und jaulte hinter ihm, als das Schwert herabsauste, und er konnte nicht das mindeste tun. Es traf ihn an der Schläfe, doch der Schmerz war erstaunlich gering. Allerdings entsetzte es ihn vage, als er spürte, wie der obere Teil seines Kopfes einbrach und sah, wie eine klebrige Masse von der Klinge fiel. Harran brach zusammen — er wußte, daß er stürzte, weil er spürte, wie Gesicht und Brust auf dem blutigen Straßenschmutz aufschlugen —, doch bis es dunkel um ihn wurde, blieb ihm nur noch dieser Seitenblick. Verschwommen dachte er, daß Hirne gewöhnlich dunkler waren. Aber offenbar war die typische Farbe jener, die er untersucht hatte, dem gerinnenden Blut im Gewebe zuzuschreiben. Seines hatte nur noch keine Zeit zum Gerinnen gehabt, das war es. Wenn er das nächstemal — das nächstemal —, aber hier stimmte etwas nicht! Wo war Siveni? Wo war Mriga? Es hieß doch, daß — wenn man starb — sein Gott oder seine Göttin — einen holte ...
Da sank Schwärze auf Harran herab, und sein Geist floh weit fort.
Tyr wußte nicht, daß sie eine Hündin war. Sie wußte gar nichts auf die Weise, wie Menschen etwas wußten. Ihr Bewußtsein bestand aus Eigenschaftswörtern — Empfinden ohne Denken. Dinge geschahen , doch sie hatte von ihnen keine Vorstellung; sie hatte kaum irgendwelche Vorstellungen. Sie war einfach nur.
Da gab es noch etwas anderes. Keine Person — Tyr hatte keine Ahnung, was Personen waren —, sondern eine Anwesenheit, mit der die Welt war, wie sie sein sollte, und ohne die ihre Umgebung aufhörte, eine Welt zu sein. Wäre ein Mensch in der Lage gewesen, durch Tyrs Geist zu sehen, er hätte etwas bemerkt, das mit der Hölle der Menschen vergleichbar war — alle Sicherheit verschwunden, keine Liebe mehr, nichts als eine Gefühlsleere, durch die man auf erschreckende Weise für immer fiel. So war es schon einmal vor langer Zeit gewesen. Auf Tyrs vage Weise fürchtete sie diese Rückkehr der Hölle. Doch nachdem damals die Anwesenheit in ihre Welt gekommen war und alles zusammengefügt hatte, war die Hölle ferngeblieben.
Da gab es auch vertraute Gestalten in ihrem Leben. Eine war dünn und schlaksig mit viel krausem, zerzaustem Fell ganz oben, die den einen oder anderen von Tyrs Schlafplätzen mit ihr teilte. Die andere war eine große, blondbärtige Form, ein Mann, was immer das bedeutete, der schon länger bei ihr war und auch wichtiger war. Tyr verstand vage, daß die Gegenwart dieser zweiten Gestalt etwas mit ihrem Wohlbefinden bzw. dem Mangel daran zu tun hatte, aber sie war nicht fähig, sich wirklich einen Begriff davon zu machen, und auch nicht, sich zu sorgen, weil sie es nicht konnte. Wenn der Mann sie hielt, wenn in seiner Anwesenheit Futter erschien oder Stöckchen flogen, denen sie nachlief und die sie 41 zurückbrachte, dann war Tyr unbeschreiblich glücklich. Selbst als die dünne Gestalt aus ihrem Universum verschwunden war, trauerte sie nicht sehr lange. Sowohl die Anwesenheit, als auch die große Gestalt schienen damit einverstanden zu sein, obwohl sie überrascht gewesen waren, deshalb mußte es wohl in Ordnung sein. Und die Form, die zählte , war nicht weggegangen. Nur wenn dieser Mann fehlte oder sie Unannehmlichkeiten um ihn witterte, zerbrach Tyrs Welt.
Jetzt war sie zerbrochen, war es bereits, seit sie zufrieden in den Küchenabfällen in der Kaserne gewühlt hatte und plötzlich eine Menge Pferde ankamen und einige der Häuser sehr hell wurden. Tyr wußte nicht, daß es sich bei dem Licht, das von ihnen aufgestiegen war, um Feuer gehandelt hatte, denn Feuer, wie sie es kannte, war etwas, das an einem kleinen steinernen Platz in der Mitte der Welt blieb und einem nichts tat, außer wenn man ihm zu nahe kam. So hatte sie unbesorgt weiter in den Abfällen herumgestöbert, bis die große Gestalt herbeigestürmt kam und sie unter den Arm klemmte. Das ärgerte Tyr, und sie ärgerte sich schließlich noch mehr, als ihre Nase ihr verriet, daß auf einmal überall Fleisch herumlag. Tyr bekam nie genügend Fleisch. Doch der Mann ließ sie nicht ran. Er
Weitere Kostenlose Bücher