Die Farben der Finsternis (German Edition)
andere Selbstmörderin hieß?«
»Jep. Katie Dodds. Gerade einundzwanzig geworden. Ich schicke dir die Akte. Von unserem Freund hier wurde bereits eine offizielle Aussage aufgenommen. Wenn ich fertig bin, bekommst du eine Kopie des Berichts. Das interessiert sonst sowieso keinen.«
»Danke. Wahrscheinlich ist nichts dran, aber ich werde es prüfen.«
»Gut«, sagte Josh Eagleton. »Sie waren noch so jung. Sie haben es verdient, dass sich jemand darum kümmert.«
Cass lief die Treppe wieder hinunter. Seiner Meinung nach war Eagleton seinem ehemaligen Chef bereits jetzt weit voraus. Cass wusste genau, wie gnadenlos sich die Toten festkrallen konnten. Es sah so aus, als hätte die Laborratte das auch schon begriffen.
Weil es noch früh war und er sich weder rasiert noch geduscht hatte, bevor er zu Eagleton rausgefahren war, fuhr Cass erst einmal nach Hause. Er hatte noch viel Zeit, ehe er auf der Wache sein musste, und wollte sich in Paddington Green auf jeden Fall professionell präsentieren. Manchmal kam es wirklich nur auf die äußere Erscheinung an, das wusste er besser als andere. Vorm Duschen schaltete er den Wasserkocher in der engen Küche ein. Seine neue Wohnung in St. John’s Wood war klein, aber praktisch und sie passte zu Cass, wahrscheinlich sogar besser als es das große Haus in Muswell Hill je getan hatte.
Er sprang unter die Dusche und dachte darüber nach, wie froh er sein würde, wenn der Verkauf des Hauses endgültig abgewickelt war. Er hatte es zu einem lächerlichen Preis angeboten, die einzige Möglichkeit, Bewegung in den toten Immobilienmarkt zu bringen. Aber das war es wert, schon allein um einen Strich unter einige Erinnerungen zu ziehen. Außerdem litt er wahrhaftig nicht unter Geldmangel: Die Bank hatte die Hypothek seines Bruders übernommen, sobald er bewiesen hatte, dass Christian ermordet worden war. Daraufhin hatte er das Haus vermietet; auch die ausgezahlte Lebensversicherung lag noch unangetastet auf Cass’ eigenem Konto.
Er ließ das heiße Wasser über seinen Körper rauschen. Jedes Leben hatte einen Preis. Wenn er eins gelernt hatte,dann das. Vom Verrat für dreißig Silberlinge über Claire Mays Todessturz, den Schutz illegaler Einkünfte bis zu einer Familienlebensversicherung konnte man Leben und Tod aufs Kleingeld runterrechnen. Das hinterließ einen üblen Nachgeschmack … Nun ja, Cass hatte also einen schlechten Geschmack auf der Zunge und den gesündesten Kontostand seit Jahren. Und seine Lohntüte würde noch entschieden voller werden, weil er durch die Verhaftungen und Verurteilungen seiner Kollegen eine Menge Boni einstreichen würde. Auch darum waren nicht so viele Leute auf dem Revier – und anderen Polizeiwachen in London – scharf darauf, sich auf Cass’ Seite zu schlagen; sie hatten das unangenehme Gefühl, dass er sich an der Polizei bereicherte.
Cass stellte die Dusche heißer, bis eine Dampfwolke durch den Duschvorhang drang. Mit dem Mist konnte er leben. Schließlich hatte er schon Schlimmeres durchgemacht. Während er sich wusch, wünschte er, es wäre genauso einfach, die Erinnerungen an die Vergangenheit und die Geister der Toten abzuspülen: Claire May, seine Frau Kate, Christian und seine Familie, das vermisste Kind Luke … und über allem türmte sich der dunkle Schatten Der Bank und des geheimnisvollen Mr Bright auf. Er verdrängte das. Es gibt kein Leuchten – der Gedanke pochte jeden Morgen in seinem Kopf, und obwohl er wusste, dass es gelogen war, unternahm er nichts dagegen; er wollte versuchen mit dieser Lüge zu leben. Cass hatte nicht die Absicht, sich in die Spielchen verwickeln zu lassen, die Mr Bright und Solomon mit ihm und seiner Familie hatten spielen wollen. Ihn interessierte nur die düstere, wahre Welt des Verbrechens, sonst nichts. Sollten sie sich doch eine andere Familie für ihre Experimente suchen.
Er stieg aus der Dusche und trocknete sich rasch ab.
Es gibt kein Leuchten . Dieser Satz wurde von einem anderenebenso sonderbaren verdrängt, auch wenn der ihm noch nicht so vertraut war: Chaos im Dunkel . Eagleton hatte recht behalten: Das war was für ihn. Zwei Mädchen von zwei verschiedenen Universitäten brachten sich um und hinterließen dabei denselben Satz. Zufall? Vor Kurzem hatte ihm ein Mann gesagt, es gebe keine Zufälle. Cass war geneigt ihm zuzustimmen.
Beim Anziehen trank er schnell eine Tasse Kaffee und war schon halb aus der Tür, als er den blinkenden Anrufbeantworter bemerkte. Während er im Badezimmer
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